Symbolbild zur Corona-Krise: Die Corona-Krise als Chance nutzen
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Corona – eine Chance für Solidarität und Gerechtigkeit? Die Verantwortung sozialwirtschaftlicher Akteure

Ein Gastbeitrag von Prof. Dr. Armin Schneider

Corona trifft alle gleich, weltweit sind die Menschen von dieser Pandemie betroffen und leiden unter den Beschränkungen, den Schutzmaßnahmen und unter der Krankheit – zumindest solange es keine Impfung und gesicherte Heilmethoden gibt. Dieses „alle in einem Boot sitzen“ sollte auch Leitlinie für die Zeit nach Corona bleiben und gerade dann gelten, wenn es Impfung und Therapie gibt!

Je länger die Krise andauert, umso eher löst sich die Solidarität auf: Alte Gräben werden wieder aufgemacht, die Diskussion, ob die Wirtschaft oder die Gesundheit wichtiger sind, flammt auf. Ebenso mehren sich die Stimmen, jetzt mehr dem Markt zu überlassen auf der einen Seite und jetzt mehr zu verstaatlichen auf der anderen Seite.

Die für viele jetzt zwangsweise verordnete Entschleunigung könnte eine Chance sein, sich der wesentlichen Dinge zu besinnen und die solidarische Haltung in die Zukunft „zu retten“. In Politik, in der Sozialwirtschaft, der Sozialen Arbeit und dem Gesundheitswesen sollten Solidarität und Gerechtigkeit weiter Maßstab für die Zeit der wie auch immer weitergehenden Normalität sein.

Was kann das heißen?

Maßstab: Grad der Bedürftigkeit

  • Wenn es um Impfung und Therapie geht, sollten nicht marktwirtschaftliche Kriterien (wer am meisten zahlt oder wer privat versichert ist, erhält die ersten Impfungen und die besten Therapien) im Vordergrund stehen, sondern der Grad der Bedürftigkeit: zu allererst die am meisten gefährdeten Personen: alte und kranke Menschen, Personal in Pflegeberufen und mit viel Personenkontakt!

Maßstab: Soziale Gerechtigkeit

  • Wenn alle zumindest vordergründig gleich an der Pandemie gelitten haben, so gibt es doch Krisengewinner und Krisenverlierer: Alle Maßnahmen, wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Art sollten, jenseits von Lobbyinteressen denen am meisten zu Gute kommen, die am meisten verloren haben! Ein starker Staat sollte krisengenerierte Gewinne zugunsten der Armen abschöpfen. Ein Staat, der Ausgangsbeschränkungen durchsetzen kann, muss auch, des gesellschaftlichen Zusammenhaltes willen, für spürbare Gerechtigkeit sorgen!

Maßstab: Gemeinwohl und Nachhaltigkeit

  • Die Untergangsszenarien des geringen Wachstums, die Vergleiche mit Kriegswirtschaft sollten nicht den Blick auf die Realität verdecken: In vielen Wirtschaftsbereichen war oder ist Stillstand, hier sollten auch die in der Vergangenheit eingefahrenen Gewinne gemeinwirtschaftlich eingesetzt werden, zunächst auch, um die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu unterstützen. Hier wäre es endlich an der Zeit, z. B. das Aktienrecht so zu verändern, dass ein Aktienunternehmen dem Gemeinwohl und der Nachhaltigkeit verpflichtet wird und nicht nur Sklave der Aktienbesitzer/innen ist.

Kleinunternehmer und Mittelstand zuerst

  • Es stimmt, dass Großunternehmen viele Arbeitsplätze anbieten, aber bezogen auf die jeweilige Größe (Umsatz und Gewinn) sind es in unserer Wirtschaft gerade die Mittelständler und die kleinen Unternehmen, die in Relation mehr Arbeitsplätze anbieten; dies sollte auch dazu führen, diese in besonderer Weise zu unterstützen.

Daseinsvorsorge und Sorgedenken fest installieren

  • Die Orientierung an Effizienz und Effektivität mag in vielen Bereichen der Sozial- und Gesundheitswirtschaft zu Erfolgen geführt haben. Die aktuelle Krise hat aber auch gezeigt, dass es „Uneffizienzen“ geben muss, in Form von Daseinsvorsorge (schnell zu mobilisierende Krankenhausbetten, Vorräte an Schutzkleidung und Desinfektionsmittel, schnell verfügbares Personal). Bei aller Effizienz muss es unseren Gesellschaften gelingen, auch schlicht und einfach Lebensnotweniges in einem Sorgedenken vorzuhalten. Dazu gehört es auch, dass eine Industrieproduktion in Europa sich nicht von langen Lieferketten abhängig machen darf. Das alles wird mehr kosten, aber es wird uns auch reaktionsfähiger für weitere Krisen machen.

Bessere Arbeitsbedingung und Bezahlung bei „Systemrelevanz“

  • Beklatscht und als Helden gefeiert wurden und werden die jetzt auf einmal „systemrelevanten“ Pflegekräfte, Lebensmittelgeschäfte und Versorgungs- und Entsorgungsbetriebe. Doch Klatschen und Feiern hilft diesen Berufen genauso wenig wie eine nette Einmalprämie von 1.500 €. Hier muss die Systemrelevanz sich auch dauerhaft und nachhaltig in besseren Arbeitsbedingungen, besserer Bezahlung und gesellschaftlicher Anerkennung niederschlagen. Das sollten die Verantwortlichen in der Sozial- und Gesundheitswirtschaft gerade jetzt vehement vorantreiben und in der Politik entsprechend einbringen.

Europa als Verantwortungsgemeinschaft

  • Europa und den europäischen Bürgern hilft weder eine Abschottung untereinander, noch eine Abschottung vor den Problemen der übrigen Welt. Wenn Europa sich als Wertegemeinschaft versteht, dann muss es auch eine Verantwortungsgemeinschaft geben, die füreinander einsteht und sich in Krisen gegenseitig stützt. Dazu bedarf es auch der Verantwortung in der Welt. Menschenwürde gilt nicht nur für europäische Staatsbürger, sondern auch für die, die vor dem Elend ihrer Heimat fliehen müssen. Mehr und mehr sind die Fluchtgründe durch Klima, Kriege um Ressourcen auch und gerade von europäischem Handeln zumindest mitbeeinflusst.

Chancen und Grenzen der Digitalisierung erkennen und nutzen

  • Die Corona-Krise hat vielerorts einen digitalen Schub ermöglicht (online-Beratung, E-Learning, Videokonferenzen), sie hat aber auch Grenzen der Digitalisierung aufgezeigt. Diese Erfahrungen sollten systematisch ausgewertet werden und genutzt werden. Denn weder die digitale Schule noch der Telekontakt können eine „offline“-Kommunikation ersetzen. Vielleicht kann dies auch dazu führen, dass die Arbeit mit Menschen und der direkte Kontakt besser geschätzt und honoriert wird und das nicht nur wegen der höheren Infektionsgefahr.

Einzelhandel fördern

  • Um eine Pleitewelle vieler kleiner Unternehmen, das Aussterben der Innenstädte und den damit verbundenen Arbeitsplatzverlust zu vermeiden, sollten, sobald als möglich, von all denen, die bisher „gut über die Runden gekommen sind“ diese kleinen Unternehmen mit Aufträgen, mit Investitionen, mit Restaurantbesuchen, mit Einkäufen bedacht werden.

Klimaschutz vorantreiben

  • Zu guter Letzt: Wenn schon so ein kleines Virus dazu führen kann, dass Schadstoffe in der Umwelt reduziert werden, so sollte doch gerade jetzt der Blick für das Klima in den Vordergrund treten: Sind all die Flüge, die Fahrten, der Konsum so wichtig? Schön wäre es, wenn die Krise zu einem stärkeren sozialen und ökologischen Bewusstsein führen könnte. Das würde den Menschen (Entschleunigung, bessere Lebensqualität) ebenso gut tun wie unserer Umwelt (weniger Schadstoffe, weniger Plastik, mehr Artenvielfalt.

Meine Hoffnung: Die Krise als Chance sehen!
Ob all diese Hoffnungen sich erfüllen lassen, kann sicherlich bezweifelt werden. Aber es sollte, gerade von den Verantwortlichen in der Sozial- und Gesundheitswirtschaft die Krise an Chance gesehen werden, das bisherige Wirtschaften zu überdenken und wesentliche Weichenstellungen für die Zukunft vorzunehmen. Den Krisen wie diese können auch in den nächsten Jahren in einer globalisierten Welt entstehen und da helfen am besten Prävention und die gewonnene Erfahrung!

 

Prof. Dr. Armin Schneider, Hochschule Koblenz, Fachbereich Sozialwissenschaften
Direktor des Institutes für Bildung, Erziehung und Betreuung in der Kindheit | Rheinland-Pfalz (IBEB), Prodekan des Fachbereichs Sozialwissenschaften, Mitherausgeber der Blauen Reihe