Ein Gastbeitrag von Prof. Dr. Paul Brandl und Prof. Dr. Johannes Kriegel
Im Rahmen der mobilen, medizinischen Versorgung von Personen mit Unterstützungsbedarf liegt ein besonderer Fokus auf der Patienten- und Arzneimittelsicherheit. Hierbei gilt es, das Fehler- und Gefahrenrisiko im Rahmen des Prozesses der Arzneimittelversorgung möglichst zu reduzieren. Hinsichtlich dieser Zielsetzungen stellt das Unit-Dose-System, also die Automatisierung der Medikamentenversorgung – mit einer weitgehend digitalen Datenübertragung von Anordnung/Rezeptausstellung bis zur durchgeführten Verabreichung oder selbstständigen Einnahme – den ressourcenschonendsten und zentralen Lösungsansatz dar.
Patientenzentrierte Medikamentenversorgung in der mobilen Altenpflege
Die Patientenversorgung in der mobilen Altenpflege wird durch das Klientel sowie durch gesundheitsbezogene und wissensbasierte Dienstleistungen unterschiedlicher Health Professionals und Akteure bestimmt: Von den Ärzt:innen über Apotheker:innen bis hin zur Diplomierten Gesundheits- und Krankenpflegeperson (DGKP/BScN) und den Personenbetreuer:innen, aber auch durch Angehörige und Freiwillige. Die vielfältigen Aktivitäten – vom Gang zur Ärzt:in bis zur Erinnerung an die Einnahme – müssen entsprechend dem jeweiligen Setting individuell abgestimmt sein und erbracht werden. Sie erfordern eine qualifizierte Disposition und unternehmensübergreifende Logistik. Letztlich müssen alle Teildienstleistungen samt den notwendigen Informationen am Point-of-Care digital und analog zusammengeführt werden.
Im Rahmen dieser komplexen Aufgabe bestehen vielfältige Stressfaktoren (z. B. erhöhtes Patientenaufkommen, technologische Ausstattung, Handeln unter Zeitdruck) und Anforderungen (z. B. erhöhte Hygieneanforderungen aufgrund der Corona-Pandemie, Informationstransparenz, Personal- und Ressourcenverfügbarkeit), die mit ihren Schnittstellen ein vielfältiges Gefahrenrisiko für die Patient:innensicherheit darstellen.
Die Medikamentenversorgung (inkl. der Versorgung mit Pflegeprodukten) ist ein vielfältiges komplexes und sensibles Handlungsfeld. Als übergreifende Zielsetzung der Medikamentenversorgung gilt das 12-Rights-Prinzip. Dieses besagt, dass die jeweiligen Medikamente bedarfsorientiert nach dem Grundsatz
- das richtige Medikament,
- in der richtigen Menge,
- im richtigen Zustand,
- am richtigen Ort,
- zur richtigen Zeit,
- für den richtigen Patienten,
- zu den richtigen Kosten,
- unter den richtigen ethischen und emotionalen Anforderungen,
- durch den richtigen Mitarbeiter (Qualifikation),
- mit den richtigen Hilfsmitteln sowie
- unter den richtigen rechtlichen und ethischen Bedingungen
bereitzustellen sind. Aus Sicht der adressierten Patient*innen gilt es ferner, zum einen den Gesundheitsstatus sowie die Erfahrungen der Patient*innen, die Wechselwirkung der zu verabreichenden Medikamente sowie die Wirtschaftlichkeit zu berücksichtigen. Zum anderen müssen die Arbeitsbedingungen und Kompetenzbereiche der beteiligten Personengruppen berücksichtigt und aufeinander abgestimmt werden.
Herausforderungen entlang des Prozesses der Medikamentenversorgung
Im Hinblick auf eine hohe und anzustrebende Medikamentensicherheit in der mobilen Altenpflege gilt es, die hierzu erforderlichen prozessbezogenen sowie beeinflussbaren Anforderungen und Erfordernisse zu identifizieren. Hierzu bietet sich ein zielgerichtetes und konzeptionelles Vorgehen an, welches über acht Phasen die relevanten und erforderlichen benannten Problemzonen bearbeitet sowie erforderliche Lösungen im Sinne des Unit-Dose-Systems entwickelt:
Nr. | Phase | Herausforderung | Unit-Dose Mehrwert |
1 | Patient:innenstatus/-veränderung |
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[1] LISSI: LISSI (Lebe immer selbstständig und sicher) = Software für eine unternehmensübergreifende Pflegedokumentation für die mobile Altenbetreuung und -pflege |
2 | Anamnese und Monitoring |
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3 | Medikationsplan/-anpassung |
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4 | Pflegerisch-ärztliche/pharmazeutische Validierung |
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5 | Arzneimittellogistik und -stellung |
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6 | Patient:innenindividuelle Arzneimittelbereitstellung |
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7 | Arzneimitteleinnahme am Point-of-Care |
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8 | Arzneimittelwirkung, Dauermedikation, Adhärenz |
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Notwendige weitere Entwicklungsschritte:
Derzeit ist die patientenindividuelle Medikamentenversorgung auf mehrere Unternehmen und unterschiedliche Professionen aufgeteilt. Damit geht aufgrund der Vielzahl an Schnittstellen die Transparenz hinsichtlich der Informationen, Prozesse, Ergebnisse und Wirkungen verloren. Die Optimierung der Medikamentensicherheit in dieser komplexen Versorgungs- und Lieferkette reicht somit weit über die Compliance der Patient:innen hinaus und muss mittels geeigneter dispositiver, organisatorischer und technologischer Maßnahmen erreicht werden. Basis ist das automatisierte und damit fehlerfreie Erstellen der Blister für die Patient:innen (Unit-Dose). Erst die Standardisierung aller obigen Prozesse ermöglicht eine digitale und damit hygienische Datenübertragung, die damit auch ökonomisch laufen und nachhaltig gestaltet werden kann – beginnend bereits beim Patient:innenstatus bis zur Nachbestellung und Kostenübernahme der Gesundheitskassen.
Das Hygienerisiko kann bei den vulnerablen Patient:innen deutlich gesenkt werden. Auch der wachsende Personalmangel in allen Gesundheitsberufen erfordert darüber hinaus einen möglichst ressourcenschonenden Einsatz aller Produktionsfaktoren beim Erstellen aller Teildienstleistungen. Die Potenziale der logistischen Weiterentwicklung der Dienstleistung reichen über die Automatisierung des „Einschachtelns der Medikamente“ hinaus bis zum Schaffen von Transparenz durch digitalisierte, fehlerfreie Datenübertragung und der damit verbundenen Schnittstellenreduzierung.
Notwendig wird entlang der Point-of-Use-Versorgung die konsequente Qualifizierung aller beteiligten Mitarbeiter:innen hinsichtlich der Denkweise, der Verantwortlichkeiten und des Ablaufs jedes einzelnen Prozessschrittes. Durch die Digitalisierung wird nicht nur mehr Medikamentensicherheit, sondern auch ein Mehr an Hygiene für alle Beteiligten sowie auch eine nachhaltige Reduzierung des gesamten Ressourceneinsatzes ermöglicht.
Zu den Autoren:
Prof. Dr. Paul Brandl, Lehrbeauftragter an mehreren Fachhochschulen und Berater im Bereich der ressourcenschonenden Entwicklung von Dienstleistungen bis zum Qualitätsmanagement
Prof. Dr. Johannes Kriegel MBA, MPH, Professor für Gesundheitsmanagement, Department Gesundheits-, Sozial- und Public Management, Fachhochschule Oberösterreich und Assoziierter Forscher am Institut für Management und Ökonomie im Gesundheitswesen, UMIT – Private Universität für Gesundheitswissenschaften, Medizinische Informatik und Technik, Tirol
Verwendete Literatur:
Baumgartner Christian/Brandl Paul (2020): Mit der Neuverblisterung zu mehr Effizienz in der (mobilen) Altenbetreuung. In: Brandl Paul/Prinz Thomas (Hrsg.), Innovation bei sozialen Dienstleistungen – Praktische Ansätze für eine innovative Zukunft, Walhalla Fachverlag, Regensburg.
Brandl Paul (2021): Prozessoptimierung: Basis zur Neugestaltung sozialer Dienstleistungen. Mehr Nutzen – weniger Ressourcen – mehr Nachhaltigkeit. Regensburg: Walhalla Fachverlag.
Kriegel Johannes (2021): Last-Mile-Logistik in der Arzneimittelversorgung im Krankenhaus. In: Klinik Einkauf 2021; 03(03), S. 32-35.
Kriegel Johannes/Brandl Paul (2022): Medikationssicherheit – Arzneimittellogistik über Automation und Unit-Dose-Versorgung. In: Klinik Einkauf 2022; 04(01), S. 35-37.