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Zwischenruf: Schöne neue KI-Welt – gibt’s die auch in nachhaltig?

Die Errungenschaften der Digitalisierung machen uns den Alltag einfacher und sorgloser – nie wieder lästige Stadtpläne ausfalten (zumindest die Älteren unter uns erinnern sich noch), Übersetzungen per Knopfdruck, Finanztransaktionen und die lästige Buchhaltung – für alles gibt es eine digitale Lösung. Wenn wir die englische Bezeichnung „Artificial Intelligence“ als „Künstliche Intelligenz“ übersetzen (und nicht etwa in künstlich generierte Information, was auch eine mögliche Übersetzung wäre) tun wir so, als könnten Computer in gleichem Maße wie wir Menschen intelligent sein. Von Prof. Dr. Armin Schneider

Das mag für die eine oder andere Anwendung gelten, doch scheint dies, zumindest bis zum Beweis des Gegenteils, recht naiv gedacht. Beziehen sich doch alle KI-Anwendungen auf eine Verknüpfung von vergangenen Daten und ihren Wahrscheinlichkeiten. Zumindest werden noch keine zukunftsweisenden Ideen entwickelt oder Probleme der Menschheit gelöst. Hinzu kommt, dass KI derzeit und in Zukunft ebenso wie alle Digitalisierung einen nicht zu vernachlässigenden ökologischen und sozialen Fußabdruck hinterlassen wird.

Auch der Austausch von Bits, so harmlos dies erscheinen mag, benötigt in Summe eine gewaltige Menge an Energie, und solange die Programmierer dieser KI in Verhältnissen der Ausbeutung arbeiten, kann hier nicht von „sauberer Zukunftstechnologie“ gesprochen werden. Schließlich wird nicht automatisch mit KI die natürliche Intelligenz gefördert, sondern es gehen, wie wir es alltäglich z.B. mit der Nutzung von Navigationssystemen er“fahren“, Eigenschaften der natürlichen Intelligenz, in diesem Beispiel die Orientierungsfähigkeit, verloren.

Der Softwarekonzern Oracle will für den Betrieb seines KI-Rechenzentrums drei neue Atomkraftwerke bauen (vgl. Bellinghausen 2024, S. 19), also weg von, oder gar nicht erst hin zu einer erneuerbaren Energieform. Klickarbeiter:innen in Niedriglohnländern arbeiten für die großen KI-Unternehmen (vgl. Schlindwein 2024). All dies ist zu bedenken, wenn wir allzu einfach die schöne neue KI-Welt bewundern. Es gilt auch hier, die Technologie nicht zu verteufeln, aber eben auch nicht zu glorifizieren. Genaues Hinsehen, aufmerksame Recherche, verantwortliche und verantwortbare Entscheidungen sind gefordert.

Was heißt dies für das Management und die Führung sozialer Unternehmen? Zu allererst die Einsicht, dass Digitalisierung und KI nicht per se Beiträge zur Nachhaltigkeit sind. Erst, wenn auch ihre „Fußabdrücke“ besser werden, können sie Wege zur Nachhaltigkeit öffnen. Oft genug werden die verdeckten ökologischen und gesellschaftlichen Kosten z.B. einer Videokonferenz längst nicht so offensichtlich wie z.B. die Kosten einer Face-to-Face Konferenz. In gewisser Weise kann auch hier von einer Externalisierung von ökologischen und gesellschaftlichen Kosten die Rede sein.

Dann ist zu fragen, welche Regeln im Unternehmen für die Nutzung, Bewertung und die Auswahl von digitalen und KI-Tools gelten. Welche Tools werden genutzt? Inwieweit macht man sich von den Technologiegiganten abhängig? Wie sind Systeme vor Hackerangriffen geschützt? Wie wird der Datenschutz gewährleistet? Wie die Persönlichkeits- und Urheberrechte der Mitarbeiter:innen und der Kund:innen?

Weiterhin sind der Stellenwert der natürlichen Intelligenz, des Grundlagenwissens und unterschiedlicher Kompetenzen gefragt, mit der beispielsweise KI-generierte Ergebnisse bewertet werden. KI ist ebenso wenig unfehlbar wie Menschen es sind.

Schließlich gilt es in sensiblen Bereichen, und dazu gehört gerade die Sozialwirtschaft, auf eine Nichtschädigung der anvertrauten Menschen zu achten. Hier wiederum ist natürliche, fehlbare aber zuwendungsstarke Intelligenz gefragt. Last but not least ist bei jedem Einsatz auch zu fragen, ob und wo nachhaltigere Alternativen zur Verfügung stehen, um ähnliche Ziele zu erreichen.

Tipps und Kniffe gibt es und sie werden sicherlich noch besser. Zum Beispiel bei Videokonferenzen:

• Videofunktion ausschalten, wenn sie nicht benötigt wird
• Herunterstellen der Videoqualität
• Nutzung des mobilen W-Lan statt des mobilen Internets
• Nutzung des Laptops statt des Desktop-PC (vgl. Energiekonsens 2021).

Was die KI angeht, so gilt:

• Zum Trainieren sorgsam minimalistisch vorgehen und mit kleineren Datenmengen arbeiten
• Messung und Transparenz der Energieflüsse durch KI

• Nachhaltigkeitskriterien für KI-Systeme stellt z.B. Algorithmwatch vor:

o Transparenz und Verantwortungsübernahme
o Nicht-Diskriminierung und Fairness
o Technische Verlässlichkeit und menschliche Aufsicht
o Selbstbestimmung und Datenschutz
o Inklusives und partizipatives Design
o Kulturelle Sensibilität
o Marktvielfalt und Ausschöpfung des Innovationspotenzials
o Verteilungswirkung in Zielmärkten
o Arbeitsbedingungen und Arbeitsplätze
o Energieverbrauch
o CO2– und Treibhausgasemissionen
o Nachhaltigkeitspotenziale in der Anwendung
o Indirekter Ressourcenverbrauch“ (Algorithmwatch 2023)

Fazit:

Die Diskussionen über die Auswirkungen einer neuen Technik sind nicht neu, aber zu einem verantwortlichen Handeln gehört eben auch, gerade im Bezug auf Nachhaltigkeit, darauf zu achten, jede neue Technologie sorgfältig zu prüfen und sie dort einzusetzen, wo sie von großem Nutzen ist und dort skeptisch zu sein, wo negative Folgen vermutet werden.

Quellen:

Algorithmwatch (2023). Wie nachhaltig ist meine KI? https://sustain.algorithmwatch.org/wie-nachhaltig-ist-meine-ki/ Abruf: 29.09.2024.
Bellinghausen, Yves (2024). Der Softwarekonzern Oracle will drei Atomkraftwerke bauen, um genug Strom für künstliche Intelligenz zu haben. Was steckt dahinter? In: Die Zeit vom 26. September 2024, S. 19.
Energiekonsens (2021). CO2-Einsparung dank Videokonferenzen. Pressemitteilung vom 18. Februar 2021.
Schlindwein, Simone (2024). KI zwischen Hype und Ausbeutung. https://www.suedwind-magazin.at/ki-zwischen-hype-und-ausbeutung/ Abruf 29.09.2024.

Prof. Dr. Armin Schneider hat die Professur für Management und Forschung an der Hochschule Koblenz inne. Zudem ist er Direktor des Instituts für Bildung, Erziehung und Betreuung in der Kindheit|Rheinland-Pfalz (IBEB). Er ist Autor von verschiedenen Büchern der Blauen Reihe Sozialmanagement bei WALHALLA.

Portraitfoto von Beyer Thomas

Verhandelt! Plädoyer für eine neue Kultur der Entgeltfindung

Die Vorstellung des Gesetzgebers ist klar: In weiten Bereichen der sozialwirtschaftlichen Leistungserbringung, namentlich in den zentralen Aufgabenfeldern Sozial- und Eingliederungshilfe, Kinder- und Jugendhilfe und Pflege, sollen Inhalt, Umfang und Qualität der zu erbringenden Dienstleistungen und die dafür zu entrichtenden Entgelte durch Verträge („Leistungs- und Finanzierungsvereinbarungen“) geregelt werden (1).

Leitbild…

Auf dieser Grundlage ist die Verpflichtung des sozialwirtschaftlichen Unternehmens begründet, den Auftrag des öffentlichen Leistungsträgers gegenüber den Klientinnen und Klienten zu erfüllen, damit diese die ihnen gesetzlich zustehenden Sozialleistungen tatsächlich in Anspruch nehmen können (§ 17 Abs. 1 SGB I). Im Gegenzug erfolgt die Zusage des öffentlichen Trägers, hierfür finanziell aufzukommen. Dabei sind die jeweiligen Entgelte unter Ausgleich der Interessen der Parteien zu bestimmen. Die „Preise“ sind wegen des Umgangs mit öffentlichen Finanzmitteln insbesondere unter Beachtung der Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit (vgl. § 75 Abs. 1 Satz 5 SGB XII) zu bemessen, aber so, dass sie sich „leistungsgerecht“ zur übernommenen Verpflichtung des Anbieters zeigen.

…und Wirklichkeit

Tatsächlich scheint dieser Mechanismus zunehmend außer Kraft gesetzt. Die Klagen aus der Sozialbranche über nicht (mehr) angemessene Entgelte häufen sich. Alarmzeichen wie Angebotseinschränkungen und Schließung von Einrichtungen weisen auf Konsolidierungsbedarfe vieler Leistungserbringer hin. Große Komplexträger suchen Übernahmeinteressenten für Sparten, die sich für sie „nicht mehr rechnen“.

Der Blick auf die Praxis zeigt gleichzeitig auch Widersprüche. Da sind unverändert Träger, die keine kontinuierliche Neuverhandlung der Leistungsentgelte suchen, sei es wegen fehlender fachlicher oder personeller Ressourcen oder weil man das „gute Verhältnis“ zum Kostenträger nicht stören will. Ein guter Kenner der Szene hat es in Gegenwart des Autors vor kurzem so formuliert: „Viele Anbieter tragen trotz ihrer Probleme immer noch die Samthandschuhe“. Das schließt den jedenfalls regional oft verpönten Gang vor die Schiedsstelle ein, auch wenn sich aus Sicht der Leistungserbringer angemessene Vergütungen auf anderem Wege nicht vereinbaren lassen (2).

Den öffentlichen Kostenträgern mag das recht sein. Nicht selten stehen dort das Beharren auf in der Vergangenheit getroffenen Abreden und primär haushaltsbezogene Erwägungen über der aktiven Interpretation des gesetzlichen Sicherstellungsauftrags (Beyer 2022: 51). Der schließt aber im Zweifel ein, die Bestandsgefährdung notwendiger Leistungsangebote abzuwenden (Beyer 2024: 107).
Schließlich hat die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) zur stationären Altenpflege über geraume Zeit nicht dazu beigetragen, die gesetzliche Konzeption der Entgeltbemessung wirksam werden zu lassen.

Gewinne in der Sozialwirtschaft – notwendig und legitim

Erhalt und nachfragegerechter Ausbau der Infrastruktur etwa im Bereich Pflege liegen ebenso im öffentlichen Interesse wie ihre verstärkte Zuwendung zu Innovationen, nicht zuletzt bei der Digitalisierung und dem Einsatz von KI. Darüber hinaus sieht sich der Sektor zunehmenden Anforderungen ausgesetzt, als Halter eines großen Immobilienbestandes seine Verantwortung für eine ökologisch nachhaltige Wirtschaftsweise künftig stärker wahrzunehmen.

Innovationsfähigkeit und Zukunftssicherung lassen sich nur auf der Grundlage einer betriebswirtschaftlich erfolgreichen Tätigkeit gewährleisten. Auch die Sozialwirtschaft ist -jedenfalls in diesem Umfang – auf Gewinnerzielung angewiesen. Im Quasi-Markt, der gesellschaftliche Bedarfe mittels öffentlicher (Mit-)Finanzierung zu decken hat, treten die gesetzlich vorgegebenen Verfahren zur Herbeiführung von Leistungs- und Vergütungsvereinbarungen an die Stelle der freien Preisfindung am Markt. Lassen sich Unternehmensgewinne für die Sozialwirtschaft folglich nur in diesem Rahmen realisieren, so haben sie im Gegenzug auch im Umfang der gesetzgeberischen Konzeption als systemadäquat zu gelten.

Der Gesetzgeber erkennt sowohl die Notwendigkeit wie auch die Legitimität einer Gewinnchance in der Sozialwirtschaft an. So regelt § 84 Abs. 2 Satz 5 SGB XI nicht nur, dass im Rahmen der vereinbarten Entgelte für die pflegerische Versorgung etwaige Überschüsse „dem Pflegeheim“ – richtig: dessen Rechtsträger – verbleiben. Seit Inkrafttreten des Dritten Pflegestärkungsgesetzes (PSG III) 2017 sieht § 84 Abs. 2 Satz 4 SGB XI vor, dass Pflegesätze einem Pflegeheim bei wirtschaftlicher Betriebsführung nicht nur ermöglichen „müssen“, seine Aufwendungen zu finanzieren und seinen Versorgungsauftrag zu erfüllen, sondern dies ausdrücklich auch „unter Berücksichtigung einer angemessenen Vergütung seines Unternehmerrisikos“. Das Bundessozialgericht hat zutreffend geklärt (3) , dass die Berücksichtigung einer kalkulatorischen Gewinnchance allgemein im Einklang steht mit dem das System der Entgeltfinanzierung kennzeichnenden Grundsatz einer leistungsgerechten Vergütung (Holtkamp/Schellberg 2023: 109).

Mäandernde Rechtsprechung

Im Bereich der stationären Pflege hat der Gesetzgeber mit § 84 Abs. 2 Satz 4 SGB IX nach seiner eigenen Verdeutlichung (4) „klargestellt, dass dem Einrichtungsbetreiber eine Gewinnchance zusteht und seine unternehmerischen Risiken berücksichtigt werden sollen“. Umso weniger verständlich erscheint, dass gerade der für die Pflege zuständige 3. Senat des BSG in den letzten Jahren durch eine mäandernde Rechtsprechung für Unklarheiten gesorgt hat, die von einzelnen Akteuren insbesondere auf Seite der Kostenträger gerne aufgegriffen wurden. Hatte er im Jahr 2013 entschieden, es sei grundsätzlich von den Vertragspartnern hinzunehmen, wenn die Schiedsstelle im Rahmen ihres Beurteilungsspielraumes in vertretbarer Weise mit der Festsetzung der Pflegevergütung zugleich die Grundlage für die Realisierung von Gewinnchancen setzt (5), verwarf er 2019 ungeachtet der gesetzgeberischen Klarstellung die Festsetzung eines pauschalen „Gewinn- bzw. Risikozuschlag“ als rechtswidrige Aufgabenwahrnehmung der Schiedsstelle (6).

Mit der Entscheidung vom 19. April 2023 ist der Senat dann zu seiner Rechtsprechung aus dem Jahr 2013 zurückgekehrt. Getrennt von den voraussichtlichen Gestehungskosten einer Einrichtung sei eine angemessene Gewinnchance zu bemessen. Diese sei aber nicht schematisch, sondern abhängig von den Gegebenheiten des Einzelfalles „einrichtungsbezogen leistungsgerecht“ auszuhandeln bzw. festzulegen (7).

Auftrag der Akteure

Alle Beteiligten sind nun aufgerufen, im Interesse der Konsolidierung des Sektors ihre Rolle bei der Entgeltfindung konstruktiv und aktiv wahrzunehmen: Die Leistungserbringer durch belastbar kalkulierte, regelmäßig und rechtzeitig vorgelegte Anträge auf (Neu-)Abschluss und die Leistungs- und Kostenträgerseite durch eine am gesetzlichen Sicherstellungsauftrag orientierte Verhandlungsführung. Dieser schließt die weitere wirtschaftliche Handlungsfähigkeit der Erbringerseite ebenso ein wie die Wahrnehmung ihrer Innovations- und Nachhaltigkeitsbelange. Und er impliziert, dass die Dachverbände der Leistungsträger die Kostenvermeidungstaktik im Einzelfall um eine Strategie der intensiveren Mitwirkung am (gesellschafts-)politischen Diskussionsprozess um die angemessene Finanzierung der sozialrechtlichen Leistungsansprüche ergänzen.

Beim Scheitern einer Pflegesatz- bzw. Entgeltverhandlung kommt den Schiedsstellen die Aufgabe zu, die Pflegesätze festzusetzen (§§ 76 Abs. 1, 85 Abs. 5 SGB XI). Sie nehmen ihre Rolle als „Streitschlichtungsregulativ in einem grundsätzlich auf eine vertragliche Vergütungsbestimmung ausgerichteten System“ (8) wahr. Nach der gesetzgeberischen Konzeption dieses System ist damit auch die Gewährleistung der angemessenen Vergütung des Unternehmerrisikos Teil Ihres Auftrags (9).

(1) §§ 75 ff. SGB XII; §§ 123 ff. SGB IX; §§ 78 b ff. SGB VIII; §§ 82 ff. SGB XI.
(2) Bspw. § 77 Abs. 2, § 81 SGB XII und § 76, § 85 Abs. 5 SGB XI.
(3) BSG v. 8.12.2022 – B 8 SO 8/20 R, BeckRS 2022, 47170, Rdnr. 20.
(4) BT-Drs. 18/10510, S. 117.
(5) BSG v. 16.5.2013 – B 3 P 2/12 R = BSGE 113, 258 ff., Rdnr. 26.
(6) BSG v. 26.9.2019 – B 3 P 1/18 R = BSGE 129, 161 ff.
(7) BSG v. 19.4.2023 – B 3 P 6/22 R = SRa 2023, 280 ff.
(8) BSG v. 19.4.2023 – B 3 P 6/22 R = SRa 2023, 280, 284.
(9) Vgl. die „Grundsatzbeschlüsse“ der Schiedsstelle nach § 76 SGB XI für Baden-Württemberg
vom 6.5. und 10.6.2024, BWKG, Mitteilung für Pflegeeinrichtungen 118/2024.

Literatur:

Beyer, Thomas (2022): Recht für die Soziale Arbeit. 3. Auflage. Baden-Baden.

Holtkamp, Claudia/Schellberg, Klaus (2023): Finanzierung von Organisationen der Sozialwirtschaft. 2. Auflage. Regensburg.

Prinz, Thomas/Kränzl-Nagl, Renate (2024): Krisenfestigkeit sozialwirtschaftlicher Unternehmen. 1. Auflage. Regensburg

Prof. Dr. iur. Thomas Beyer hat eine Professur für Recht an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt inne. Er ist Mitglied des Beirats der Blauen Reihe für Sozialmanagement im Walhalla Verlag Regensburg. <

Beitragsbild - Es ist wichtig, Risiken frühzeitig zu erkennen.

Krisen und Risiken frühzeitig erkennen

Risiken und Krisen können auch eine Chance sein, die eigene soziale Organisation zu stärken. Wie man das macht und warum es wichtig ist, dass es frühzeitig geschieht, erklärt Prof. Dr. Thomas Prinz von der Fachhochschule Linz im Gespräch mit der WALHALLA-Fachredaktion.

Herr Prof. Prinz, die jüngsten Umfragen unter den großen Sozialverbänden und Sozialunternehmen verheißen nichts Gutes: Rund ein Drittel rechnet damit, in Zukunft soziale Dienstleistungen nicht mehr in dem Umfang wie bisher anbieten zu können oder gar einstellen zu müssen. Bereitet Ihnen das Sorgen?

Prof. Dr. Thomas Prinz: Das ist natürlich eine höchst bedenkliche Entwicklung, denn wir sind als Gesellschaft ja darauf angewiesen, dass uns die sozialen Organisationen und Unternehmen mit ihren vielfältigen Dienstleistungen, vom Behinderten-Fahrdienst über die Pflege bis hin zum Kitaplatz versorgen. Wenn das Angebot in Zukunft eingeschränkt wird, weil Fachkräfte fehlen oder die Finanzierung nicht mehr ausreicht und damit das Gerüst der Versorgung wackelt oder gar einbricht, ist das nicht nur für viele Menschen eine große Belastung, sondern auch ein Rückschritt für unsere Gesellschaft und die Umsetzung des Sozialstaatsprinzip.

Sie forschen seit vielen Jahren zu Krisen und Resilienz in der Sozialwirtschaft und haben auch viele soziale Unternehmen beraten. Was ist ihr Fazit?

Prinz: Diejenigen Organisationen, die sich frühzeitig aktiv um ein professionelles Risikomanagement gekümmert haben, ihre Prozesse und die Einflussgrößen kennen, sind in der Regel deutlich widerstandsfähiger und resilienter gegen Krisen und können mit Risiken besser umgehen. Sie kommen durch die derzeit schwierige Zeit vergleichsweise stabil.

Wie erkenne ich denn, dass meine Organisation auf eine Krise zusteuert?

Prinz: Da gibt es verschiedene Parameter. Wenn sie sich wirtschaftlich in der Gewinn- und Verlustrechnung bemerkbar macht, ist es in der Regel schon zu spät. Denn je länger eine Krise dauert, desto geringer wird in der Regel der Handlungsspielraum.

Das heißt, es kommt darauf an, Krisen so früh wie möglich zu identifizieren?

Prinz: Nicht jede Krise ist existenzbedrohend, deshalb ist es wichtig, sie richtig einzuschätzen und Maßnahmen einzuleiten, die dagegen steuern, dass sie schwerwiegende Auswirkungen hat. Dafür gibt es Tools, mit denen man Risiken abfragen und analysieren kann. So ein Frühwarnsystem sollte eigentlich jede soziale Organisation haben.

Der Gesetzgeber liefert dafür ja auch eine gesetzliche Grundlage.

Prinz: Er fordert über das Unternehmensstabilisierungs- und -restrukturierungsgesetz (StaRUG) seit 2021 Unternehmen und Organisationen sogar konkret dazu auf, Signale, die auf eine Krise hindeuten, frühzeitig ernst zu nehmen und gegebenenfalls gegenzusteuern.

Was ist der erste Schritt bei der Einführung ein Risikomanagement-Systems?

Prinz: Es braucht eine Bestandsaufnahme in allen zentralen Unternehmensfeldern mit Blick auf mögliche Risiken und deren Auswirkungen auf die Dienstleistungskette. In der Industrie ist es längst üblich, dass alle wichtigen Bereiche der Prozesskette regelmäßig auf den Prüfstand kommen, in der Sozialwirtschaft gab es lange die Haltung, es geht schon irgendwie weiter. Das ist aber nicht der richtige Zugang. Ganz unabhängig von der Krisenresilienz ist so eine Bestandsaufnahme darüber hinaus auch ein guter und wichtiger Beitrag zu mehr Nachhaltigkeit in der eigenen Organisation.

In Ihrem neuen Buch, dass Sie gemeinsam mit Prof. Dr. Renate Kränzl-Nagl im Herbst 2024 bei WALHALLA publizieren, empfehlen Sie sozialwirtschaftlichen Unternehmen unter anderem den Aufbau eines Krisenmanagement-Handbuches. Warum ist das hilfreich?

Prinz: Ein Handbuch strukturiert die Prozesse und schafft somit Wissen für die gesamte Organisation, auch über Krisen hinaus und wenn Zuständigkeiten mal wechseln. Mit unserem Ratgeber wollen wir soziale Organisationen und Unternehmen befähigen, ihr Krisenmanagement selbst und frühzeitig in die Hand zu nehmen. Wir geben ihnen konkrete Tipps und Empfehlungen an die Hand, wie man ein Krisenmanagement-System und ein Handbuch aufbaut.

Sind Risiken und Krisen grundsätzlich auch eine Chance?

Prinz: Unbedingt. Man muss sie proaktiv annehmen und gestalten. Wenn das gelingt, geht man als soziale Organisation daraus gestärkt hervor.

Danke für das Gespräch!