Archiv der Kategorie: Allgemein

socialnet wird 25 – Der WALHALLA Fachverlag gratuliert

Wie die Zeit vergeht: 1999, vor mittlerweile 25 Jahren, wurde die Internetplattform socialnet gegründet. Der WALHALLA-Fachverlag gratuliert Geschäftsführer und Mitbegründer Dr. Christian Koch, der auch Beirat der BLAUEN REIHE des Walhalla-Fachverlages ist, und seinem Team sehr herzlich zum runden Geburtstag!

Bereits seit dem Jahr 2000 veröffentlich socialnet Fachbuchbesprechungen namhafter Autorinnen und Autoren aus dem deutschsprachigen Raum, die sich mit aktuellen Themen und Fragestellungen der Sozialwirtschaft beschäftigen.

Regelmäßig finden auch Publikationen von Walhalla -Autorinnen und Autoren in den Rezensionen auf socialnet Beachtung. „Wir wollen einen Nutzen für die Gesellschaft stiften, indem wir Fach- und Führungskräfte im Sozialwesen mit verlässlichen Informationen unterstützen“, fasst Dr. Christian Koch anlässlich des Jubiläums auf der Unternehmenshomepage www.socialnet.de die Idee der Plattform zusammen.

„socialnet deckt mit seinen Angeboten für die Sozialwirtschaft eine große thematische Vielfalt ab“, betont Barbara Bayer, Lektoratsleitung beim WALHALLA-Fachverlag: „Wir wünschen alles Gute zum Geburtstag und den Herausgebern sowie allen inhaltlich Beteiligten viel Kraft und Ideen für die nächsten 25 Jahre.“

Mehr Wertschöpfung für soziale Dienstleister: 5 Fragen an Prof. Dr. Paul Brandl

Nach den Personalkosten ist die Beschaffung der zweitgrößte Budgetposten sozialer Dienstleister. Führungskräfte tun daher gut daran, auch diesen Posten im Auge haben. In seinem neuen Buch „Innovatives Beschaffungsmanagement in der Sozialwirtschaft“ analysiert Walhalla-Autor Prof. Dr. Paul Brandl die Optimierungsmöglichkeiten von Beschaffungsprozessen. Was kann ihr Beitrag zum größtmöglichen Kundennutzen sein? Wie kann mit minimalem personellen, finanziellen und materiellen Ressourceneinsatz möglichst ökologisch und wirtschaftlich gearbeitet werden? Wie kann eine Einstufung von Prozessen und Dienstleistungen erfolgen? Die Walhalla-Fachredaktion hat mit Prof. Brandl im Vorfeld gesprochen.

Herr Prof. Brandl, die Prozessoptimierung im Sozialen Sektor ist einer Ihrer Arbeits- und Forschungsschwerpunkte. Wie professionell ist die Sozialwirtschaft hier bereits aufgestellt?

Brandl: Derzeit steht das Thema „Personal“ im Vordergrund. Der Mangel an Fachkräften setzt den Organisationen und Unternehmen im operativen Geschäft zunehmend Grenzen. Zudem haben viele finanzielle Schwierigkeiten, beides dominiert die aktuelle Lage. Optimierungsbemühungen sind deshalb häufig schwierig, denn für eine weitere Steigerung des Outputs im Sinne von „Weiter so“ bedürfte es sehr großer finanzieller und personeller Aufwendungen. Hinzukommt, dass die IT-Ausstattung in der Regel nicht auf dem neuesten Stand ist. Nachhaltigkeit, Versorgungssicherheit und Hygiene sind weitere Anforderungen, die es zu bewältigen gilt. Eine integrierende, zukunftsorientierte Weiterentwicklung der Prozesse, die diese Anforderungen einbezieht, ist aber nicht wirklich im Blick der meisten Führungskräfte. Ohne sie ist ein Ausweg aus dem Dilemma aus meiner Sicht aber kaum möglich.

Wie können soziale Dienstleistungen nachhaltiger und mit weniger Ressourcenaufwand und erstellt werden?

Aktuell ist es so, dass meist hier und dort optimiert wird, am Ende hat man dann punktuell gut laufende Prozesse, aber diese sind nicht aufeinander abgestimmt. Eine prozessbasierte Organisation hingegen richtet sich an einem dreiteiligen Managementsystem aus: Am langfristigen Nutzen für die Organisation bzw. das Unternehmen, übersetzt auf die mittelfristig formulierten Strategien und integriert in die täglichen Arbeitsabläufe.

Sie plädieren dafür, den Einkauf von Produkten und Dienstleistungen auch in der Sozialwirtschaft als Teil eines ganzheitlichen Beschaffungsprozesses zu sehen und ihn in Reifegraden weiterzuentwickeln. Warum/wozu ist das wichtig?

Die Ausrichtung am klassischen Kaufvertrag sprich Einkaufspreis, Menge und Zahlungskonditionen reicht nicht mehr aus. Es braucht ein Verständnis für den Beschaffungsprozess im Sinne von „Wer macht welche Tätigkeiten im Rahmen der Lieferung, Lagerung und Entsorgung“. Damit klären sich auch die im Zuge dieses Prozesses anfallenden Tätigkeiten und Kosten. Damit hat man einen Überblick über Stärken und Schwächen des Prozesses und damit über seinen Reifegrad. Der Reifegrad ist quasi der Body-Mass-Index (BMI): Stufe 5 ist der digital unterstützte und agil organisierte Prozess. Digitale Prozessschritte sind hygienisch einwandfrei und laufen in der Regel deutlich schneller ab. Die Zusammenarbeit mit Lieferanten kann so beschleunigt und der Weg der Dienstleistung zu den oft vulnerablen Kund:innen/Klient:innen (deutlich) verkürzt werden.

In Ihrem neuen Buch „Innovatives Beschaffungsmanagement in der Sozialwirtschaft“ zeigen Sie anhand von zahlreichen Praxisbeispielen, wie etwa Träger von Seniorenheimen ihre Beschaffungsprozesse komplett neu aufgerollt haben. Mit welchem Ergebnis?

Durch eine digital unterstützte Arbeitsweise wurde der Personalmangel verringert, die Hygiene verbessert und Bedürfnisse der Kund:innen bzw. Klient:innen besser erfüllt. Die im Buch dargestellten Beispiele belegen dies bei allen untersuchten Prozessen eindrücklich.

Eines der zentralen Themen ist die Verblisterung von Medikamenten, um vulnerable Klient:innen schneller, sicherer und effektiver zu versorgen. Wie wird hier der Schutz sensibler Gesundheitsdaten gewährleistet?

Die Anwendung der Prinzipien der Medizinethik und der DSGVO ermöglichen dies: Jede/r Patient:in muss über die Vorgangsweise informiert werden und schriftlich zustimmen. Jede/r Mitarbeiter darf nur jene Tätigkeiten ausführen, für die er/sie qua Gesetz und IT berechtigt ist. Die mit den jeweiligen Klient:innen ausgeführten Tätigkeiten werden schriftlich protokolliert und sind mehrere Jahre nachvollziehbar.

Ohne Digitalisierung geht Professionalisierung nicht, ist die Botschaft. Die passiert in vielen sozialwirtschaftlichen Organisationen zwar, aber wie Sie betonen, vielfach noch als Insellösung. Was wäre Ihr Ratschlag?

Eine durchgehend prozessbasierte Organisation bedarf einer digitalunterstützten und agil organisierten Arbeitsweise. Die Ausrichtung am Nutzen der Organisation braucht die Zusammenarbeit aller Beteiligten. Es ist davon auszugehen, dass das Changemanagement für alle Prozesse mehrere Jahre dauert. Führungskräfte müssen so einen Prozess nicht nur begleiten, sondern sichtbar unterstützen, damit alle Beschäftigten und auch die Klient:innen ihn mitgehen.

Walhalla Fachredaktion: Danke für das Gespräch!

Hier geht es zum Buch: Innovatives Beschaffungsmanagement in der Sozialwirtschaft

BLAUE REIHE

BLAUE REIHE: Neuer fachlicher Gesamtbeirat

WALHALLA-Fachredaktion

Die renommierte BLAUE REIHE für das Sozialmanagement im Walhalla-Fachverlag hat einen neuen fachlichen Gesamtbeirat: Zum Februar 2024 haben die bisherigen Herausgeber Prof. Dr. Klaus Schellberg (Evangelische Hochschule Nürnberg), Prof. Dr. Armin Schneider (Hochschule Koblenz), Prof. Dr. Paul Brandl (ehem. Hochschule Oberösterreich) und Prof. Dr. Thomas Prinz (Fachhochschule Linz) in den ständigen Beirat der Fachbuchreihe gewechselt.

„Wir sind der Meinung, in der Funktion als Beiräte die dynamische Weiterentwicklung der BLAUEN REIHE in Richtung Zukunft noch besser begleiten zu können“, betont Prof. Dr. Schellberg. „Der Beirat setzte sich schon bisher aus Kolleginnen und Kollegen mit umfangreicher Expertise in der Sozialwirtschaft zusammen. Der Austausch findet so künftig im Schulterschluss und unter einem gemeinsamen Dach statt.“

Neben den bisherigen Herausgebern gehören dem Fachbeirat der BLAUEN REIHE Prof. Dr. Thomas Beyer (KU Ingolstadt-Eichstätt), Dr. Christian Koch (Geschäftsführer social.net/Consultant NPOs), Stefanie Krones (Caritasverband Westerwald-Rhein-Lahn e.V.) und Nina Taubenreuther („Zweitzeugen“ e.V.) an.

Zum Frühjahr 2024 plant der Walhalla-Verlag den Relaunch des Internetsauftrittes des Fachbereichs Sozialmanagement sowie einen neuen Social-Media Auftritt für die Fachbuchreihe, die sich seit 2016 unter dem Dach des Verlages mit zentralen wissenschaftlichen und praktischen Fragestellungen sowie Zukunftsthemen der Sozialwirtschaft befasst.

Auf dem Weg zum vierten Sektor: Der Gesundheits-, Sozial- und Public-Bereich

Ein Gastbeitrag von Prof. Dr. Paul Brandl und Prof. Dr. Thomas Prinz

Der primäre Sektor umfasst die Land- und Forstwirtschaft und ging in den letzten Jahren kontinuierlich zurück. Der sekundäre Sektor – als Produktionsbereich bezeichnet – verzeichnet ebenfalls einen Rückgang. Nur der Dienstleistungsbereich wächst kontinuierlich. Er wird als dritter Sektor bezeichnet – mit mittlerweile über 70 Prozent der Wirtschaftsleistung. Es ist deshalb an der Zeit, sich diesen Wirtschaftssektor schon aufgrund der Größe genauer anzuschauen.

Am Anfang unserer Diskussion teilten wir den dritten Sektor in zwei Teile, in dem wir die Dienstleistungen aufteilten: Zum einen die produktnahen Dienstleistungen im Sinne des Verkaufs, des Handels, der Gastronomie und der persönlichen Dienstleistungen wie Friseur oder Kosmetik. Zum anderen die Dienstleistungen in der Gesundheits- und Sozialwirtschaft sowie im Öffentlichen Bereich. Diese umfassen im Gesundheitswesen beispielsweise Kuren und Rehamaßnahmen sowie die Versorgung im Krankenhaus, in der Sozialwirtschaft beispielsweise die Beratung und Hilfe für Menschen ohne Arbeit, für Personen mit Unterstützungsbedarf und/oder Selbstversorgungsdefiziten. Dazu kommen noch die öffentlichen Dienstleistungen, beispielsweise durch den Service in Ämtern oder Fachberatungsstellen. Zugegeben sind die Trennlinien hier fließend und gegebenenfalls auch noch zu schärfen.

Beginnen wir bei der Definition von Dienstleistung als einem immateriellen Wirtschaftsgut, das ein Dienstleister bzw. ein Dienstleistungsunternehmen auf einem Markt anbietet und das von Kunden in Anspruch genommen werden kann – auf Englisch „Service“. Davon ausgehend werden somit unter dem tertiären Sektor jene Wirtschaftszweige zusammengefasst, die Dienstleistungen „produzieren“ oder besser erstellen.

In der institutionellen Abgrenzung der Systematik der Wirtschaftszweige zählen dazu: Handel; Verkehr und Nachrichtenübermittlung; Kreditinstitute und Versicherungen; Wohnungsvermietung; sonstige Unternehmen oder freie Berufe, die Dienstleistungen erbringen; Organisationen ohne Erwerbscharakter und private Haushalte; Gebietskörperschaften und Sozialversicherung.

Alternativ kann der Dienstleistungssektor auch an Merkmalen der Berufsfunktion der Erwerbstätigen abgegrenzt werden (funktionale Abgrenzung). Typische Dienstleistungsberufe: Kaufleute, Techniker, Ingenieure, Verwaltungskräfte, Verkehrsberufe, Gesundheitsdienst- und Erziehungsberufe.

Statistisch stellt sich der Dienstleistungssektor bei funktionaler Abgrenzung als weitaus umfangreicher dar als bei institutioneller Abgrenzung, da Beschäftigte in Industrieunternehmen (sekundärer Sektor), die Dienstleistungsfunktionen ausüben, statistisch gleichwohl als Industriebeschäftigte erfasst werden. Jedenfalls ist der Dienstleistungssektor ausgesprochen heterogen. Das betrifft sowohl die Branchen als auch die Unternehmensstrukturen.

Das Statistische Bundesamt unterscheidet folgende Hauptbranchen im Dienstleistungssektor (vgl. Wolf, 2020):

• Handel, Instandhaltung und Reparatur von Kraftfahrzeugen;
• Verkehr und Lagerwirtschaft
• Gastgewerbe
• Information und Kommunikation
• Erbringung von Finanz- und Versicherungsdienstleistungen
• Grundstücks- und Wohnungswesen
• Erbringung von freiberuflichen, wissenschaftlichen und technischen Dienstleistungen
• Erbringung von sonstigen wirtschaftlichen Dienstleistungen
• Öffentliche Verwaltung, Verteidigung, Sozialversicherung
• Erziehung und Unterricht
• Gesundheits- und Sozialwesen
• Kunst, Unterhaltung und Erholung
• Erbringung von sonstigen Dienstleistungen

Jede dieser Hauptbranchen umfasst wiederum diverse Unterbranchen. Im Umkehrschluss lösen wir den Gesundheits- und Sozialbereich zusammen mit der Öffentlichen Verwaltung inklusive Landesverteidigung (Bundeswehr), Sozialversicherung und Wissenschaft heraus, womit man mit Kriegel (2022) auf etwa 50 Prozent des Dienstleistungsbereichs kommt. Dies rechtfertigt von der Größe her nach unserem Ermessen die Aufspaltung in zwei Sektoren: den Dienstleistungsbereich sowie den Gesundheits-, Sozial und Public-Bereich.

Unsere Überlegungen kommen nicht von ungefähr, sondern werden in der Wissenschaft schon länger diskutiert. So versteht beispielsweise Siegler (2018) die Sozialwirtschaft als eigenen Sektor, der “zwischen Wirtschaft und Sozialbereich” angesiedelt ist, und in dem Dienstleistungen für Zielgruppen der Sozialpolitik erbracht werden, „mit der Absicht, individuelle und soziale Wohlfahrt zu erzeugen“. (Evers/Ebert 2010, Wendt 2015) wiederum sehen die Sozialwirtschaft als “hybrides und intermediäres Funktionssystem”, in dem soziale Fragen und Probleme mit gemeinwohlorientierten Zielen nach ökonomischen, sozialen, politischen und zivilgesellschaftlichen Prinzipien bearbeitet werden

Die respektable Größe des Gesundheits-, Sozial und Public-Bereichs sollte ungeachtet der Diskussion eine noch größere Professionalisierung rechtfertigen und zu einem größeren Selbstbewusstsein der Organisationen sowie deren Mitarbeiter:innen führen. Unterstützend sollte die Digitalisierung in diesem Sektor nicht nur verstärkt angegangen werden, sondern auch zu neuen Formen der Zusammenarbeit führen (Stichwort: Agile Organisationen). Sichtbar werden sollte dies mit einer noch höheren Wirkung der sozialen Dienstleistungen und einer noch angemesseneren Wahrnehmung der gesellschaftlichen Relevanz.

Die Diskussion ist eröffnet. Wir freuen uns auf Diskussionsbeiträge!

Quellen: Wolf 2020, Kriegel 2022

Prof. Mag. Dr. Paul Brandl lehrt an mehreren Hochschulen und betreut anwendungsorientierte Abschlussarbeiten. Er ist an Forschungsprojekten im Bereich der Beschaffung und des Prozessmanagements beteiligt und in der Beratung von sozialen Dienstleistern tätig. Forschungsinteressen: Prozessmanagement, dynamisches Qualitätsmanagement, moderne Dienstleistungsentwicklung sowie Verblisterung von Medikamenten.

Prof. Mag. Dr. Thomas Prinz lehrt an der Fachhochschule Linz Betriebswirtschaftslehre mit Schwerpunkt Wirkungscontrolling und Finanzierung sowie Risikomanagement, Performance Measurement und Social Business Planning. Forschungsschwerpunkte: Wirkungsmessung sozialer Dienstleistungen, wirkungsorientierte Prozesskostenrechnung, sozialökonomische Wirkungsevaluation und NPO-Controlling.

Video: Die ersten 100 Tage als Führungskraft

Ein Videobeitrag von Prof. Dr. Armin Schneider

Die ersten 100 Tage in einer neuen Führungsposition wirken prägend und sind bedeutend für den weiteren Weg. In diesem Videobeitrag verrät Prof. Dr. Armin Schneider, welche fünf Bereiche während der ersten Wochen in der neuen Rolle besonders im Fokus stehen sollten.

 

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Prof. Dr. Armin Schneider, Hochschule Koblenz, Fachbereich Sozialwissenschaften
Direktor des Institutes für Bildung, Erziehung und Betreuung in der Kindheit | Rheinland-Pfalz (IBEB), Dekan des Fachbereichs Sozialwissenschaften, Mitherausgeber der Blauen Reihe

 

Der Weg vom Qualitätsmanagement zur Wirkung

Ein Gastbeitrag von Prof. Dr. Paul Brandl

Der Anknüpfungspunkt

War das Thema „Qualität“ bisher auf ein Produkt ausgerichtet, so richtete sich das Augenmerk in den letzten Jahren auf Dienstleistungen plus der dazugehörigen Arbeitsabläufe bzw. Prozesse in einem Unternehmen. Das Thema der Kosten und Fragen der Wirkung von Dienstleistungen wurden bisher nicht wirklich miteinander verbunden. Das Input-Output-Denken verstellte dazu den Blick auf die Zusammenhänge.

Prozesse sind die eine Seite der Reife und des Nutzens

Erst das prozessbasierte Denken – wie es unter anderem beim pQMS extended® (2019) beschrieben ist – ermöglichte ein Denken in Arbeits- bzw. Prozessschritten, das bereits beim Lieferanten ansetzt und über die Lieferung bis zur Lagerung, Bezahlung sowie zu einer etwaigen Entsorgung reicht. Auch Fragen der Hygiene, der Versorgungssicherheit und einer optimierten Belieferung können integriert sowie auch kostenmäßig beziffert werden. Erst durch die Prozessperspektive – auf die KundInnen ausgerichtete Prozesse – kann man sich wieder einen Schritt näher an die Fragen des Nutzens heranwagen. Es braucht dazu dynamisch definierte Dimensionen des Qualitätsmanagements, die nicht nur der formalen Erfüllung der Qualitätskriterien genügen, sondern auch Fragen der Optimierung der Arbeitsabläufe beinhalten.

Diese in fünf Reifegrade zusammengefassten Kriterien beginnen bei den Arbeitsabläufen, wie sie am Beginn der Einführung eines Qualitätsmanagementsystems vorzufinden sind, mit dem Reifegrad 1. Beim Überführen der Arbeitsabläufe in ein Prozessdenken können die notwendigen Prozessschritte in Reifegrad 2 beschrieben werden. Dabei werden sichtbare Verbesserungsmaßnahmen im Zuge der Prozessbeschreibung durchgeführt, sodass man von ersten Optimierungsschritten sprechen kann. Mit der weitgehenden systematischen Eliminierung der aus dem Kaizen[1] bekannten Verschwendungsanteile bei Prozessschritten wird dann im Reifegrad 3 von „optimierten Prozessen“ gesprochen. Erst die Umsetzung dieser optimierten Prozesse in Form von „gelebten Prozessen“ in Reifegrad 4 ermöglicht eine weitere Steigerung der Effizienz eines Prozesses. Die „kontinuierliche Verbesserung“ des jeweiligen Prozesses im Reifegrad 5 führt dann zu einer weiteren Steigerung der Effizienz. Der Nutzen eines Prozesses kann auf diese Weise für soziale Dienstleister, deren KlientInnen und auch deren Lieferanten wieder einen Schritt mehr sichtbar gesteigert werden (vgl. bereits Hertneck/Kneuper 2011).

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Die Reife der Dienstleistung ist die zweite Seite des Nutzens

Es fehlt noch der sich aufgrund beständig verändernder Anforderungen zu definierende Nutzen der dazugehörigen Dienstleistung für eine Zielgruppe, so wie dies etwa im Service Design (vgl. Becker et al. 2015) erfolgt. Hier wird der Nutzen der jeweiligen Dienstleistung von den KundInnen ausgehend definiert. Auch hier kann eine Definition der jeweiligen Dienstleistung mit Kriterien in fünf Reifegraden erfolgen, indem der technologische und organisatorische Fortschritt definiert wird. Beginnend bei Reifegrad 1 wird die Dienstleistung in analoger Form erstellt. Mit Reifegrad 2 beginnt eine elektronische Vernetzung in Form einer elektronischen Be- und Verarbeitung von Arbeitsschritten. Eine unternehmensinterne Vernetzung wird mit dem Reifegrad 3 erreicht, um dann weiter mit den externen Partnern (das sind vor allem Lieferanten und KundInnen) verbunden zu werden (Reifegrad 4). Diese technische Ausstattung ermöglicht in Reifegrad 5 eine Verbindung der IT mit neuen Organisationsformen (= agile Organisation). Damit kann der Nutzen einer Dienstleistung operationalisiert und für alle Teilprozesse einer Prozesslandkarte in einer Matrix in jeweils zwei Dimensionen dargestellt werden.

Die Matrix des Nutzens und der Wirkung

Führt man die obigen Prozesse in einer Matrix zusammen, so entsteht ein Instrument, das es erlaubt, den Nutzen einer Dienstleistung mit den verbundenen Prozessen der Erstellung zu visualisieren. Für jeden Teilprozess einer Prozesslandkarte – egal ob Kern-, Unterstützungs- oder Lenkungsprozess – kann dafür das nachstehende Instrument angewendet werden:

Reifegrad 1Reifegrad 2Reifegrad 3Reifegrad 4Reifegrad 5
Dienstleistung (x)
Prozesse (y)
analogTeils digitalIntern vernetztIntern/extern vernetztDigital und agil
Reifegrad 5Ständig optimiert
Reifegrad 4Gelebte Optimierung
Reifegrad 3Optimierte Prozesse
Reifegrad 2Beschriebene Prozesse
Reifegrad 1Abläufe wie gewohnt

Die Reifegrade der y-Achse ermöglichen die Optimierung eines Prozesses auf dem jeweiligen technologisch-organisatorischen Reifegrad. Ist eine weitere Optimierung auf dem bestehenden Niveau nicht mehr ökonomisch und ökologisch sinnvoll vertretbar, so bedarf es des Anstrebens des nächsthöheren Reifegrades auf der x-Achse. Ein neues Wertschöpfungspotenzial wird – bezogen auf den jeweiligen Teilprozess – eröffnet und damit rückt auch ein größerer Nutzen tunlichst für alle Beteiligten in greifbare Nähe – visuell darstellbar. Am Beispiel des „Beschaffungsprozesses“ werden diese Überlegungen nachfolgend noch einen Schritt konkreter:

Reifegrad der Dienstleistung 1Reifegrad der Dienstleistung 2Reifegrad der Dienstleistung 3Reifegrad der Dienstleistung 4Reifegrad der Dienstleistung 5
Reifegrade

Dienstleistung (x)
Prozesse (y)

Einkauf im regionalen GeschäftZentraler Einkauf, betriebsinterne Aufteilung und LeistungsverrechnungRahmenvertrag, überwiegend zentrale Bestellung und Lagerhaltung, interne LeistungsverrechnungRahmenvertrag, Bestellung nach Katalog, Lieferung an das dezentrale Lager, möglichst wenig interne Logistik, elektronische AbwicklungRahmenvertrag, elektronischer Katalog, Lieferung binnen 24/36 Stunden an definierten Ort, begleitendes Controlling durch Lieferanten, für alle einsehbar
Formaler Reifegrad 5Ständig optimiert
Formaler Reifegrad 4Gelebte Optimierung
Formaler Reifegrad 3Optimierte Prozesse
Formaler Reifegrad 2Beschriebene Prozesse
Formaler Reifegrad 1Abläufe wie gewohnt
Abbildung: Beispiel „Der Einkauf entwickelt sich zur Beschaffung“

Während der Reifegrad der Dienstleistung 1 noch ganz dem klassischen Einkauf entspricht und analog abgewickelt wird, entwickelt sich der Reifegrad der Beschaffung mit zunehmender elektronischer Umsetzung. Spätestens im Reifegrad der Dienstleistung 5 ist das Maximum an elektronischer Abwicklung erreicht und es werden auch neue, agile Arbeitsweisen möglich.

Veränderung wird berechenbarer

War die Richtung der Veränderung (z. B. mehr Effizienz, mehr Effektivität, gute Arbeitsbedingungen) zwar benennbar, aber speziell zu Beginn nicht so genau sichtbar zu machen, so bieten hier die beiden Reifegrade der Matrix die Möglichkeit, die Richtung des Optimierens oder des Neugestaltens entsprechend der Situation des sozialen Dienstleisters festzulegen. Sowohl eine punktuelle Veränderung des Prozesses oder Anpassung der Dienstleistung als auch ein Neugestalten des Reifegrades der Dienstleistung wird vorhersehbar und damit präziser begründbar. Mit steigenden Reifegraden sind auch neue Formen der (unternehmensübergreifenden) Zusammenarbeit möglich und auch notwendig! Eine Veränderung im Leitbild bahnt sich an.

 

Porträt Brandl Paul

FH-Prof. Dr. Paul Brandl lehrte an der Fachhochschule Oberösterreich Campus Linz, Department Gesundheits-, Sozial- und Public Management in den Bereichen Organisation und Qualitätsmanagement. An diversen Hochschulen nimmt er Lehraufträge wahr und berät im Bereich der Sozialwirtschaft.

Seine Forschungsinteressen gelten dem Prozessmanagement, dem Qualitätsmanagement sowie moderner Dienstleistungsentwicklung.

 


Verwendete Literatur:

Becker, Jörg et al. (2015): Service Design: Mit der Quadromo-Methode von der Idee zum Konzept. Wiesbaden: Springer Gabler.

Brandl, Paul/Ehrenmüller, Irmtraud (2019): pQMS extended: Neues Qualitätsmanagementsystem für die Langzeitpflege: prozessbasiert – erweiterbar – effizienzsteigernd. Regensburg: Walhalla.

Brandl, Paul (2021): Prozessoptimierung: Basis zur Neugestaltung sozialer Dienstleistungen. Mehr Nutzen – weniger Ressourcen – mehr Nachhaltigkeit. Regensburg: Walhalla.

Hertneck Christian/Kneuper, Ralf (2011): Prozesse verbessern mit CMMI® for Services: Ein Praxisleitfaden mit Fallstudien. Heidelberg: dPunkt Verlag.

[1] Die Formen der Verschwendung aus dem Kaizen: Transport, Bestände, Bewegung, Warten, Überproduktion, falsche Prozesse/Technologien, Ausschuss/Nacharbeit, Qualifikation der MitarbeiterInnen

Auf dem Weg zur Mit-Leids-Gesellschaft?

Ein Gastbeitrag von Prof. Dr. Armin Schneider

Um es vorweg zu nehmen: Mitleid ist nichts Schlechtes, zeigt es doch eine Empathie, ein Hineinversetzen in die andere Person. So heißt es auch in der Bibel: „Geteiltes Leid ist halbes Leid.“ Im Zuge von Corona sahen und sehen sich viele als Opfer: Als Opfer des Virus, als Opfer der Medien, als Opfer der Geimpften, als Opfer der Nichtgeimpften. Immer sind die anderen schuld. Und auch die Rede von der Systemrelevanz geht in die gleiche Richtung: Fast alle Berufsgruppen sehen sich mittlerweile als systemrelevant, mag dies auch noch so abwegig sein. Hauptsache, man hat Bedeutung für die Gesellschaft, was ja auch nichts Schlechtes ist. Damit verbunden ist oft die Suche nach Mitleid, die Suche nach Menschen, die einem aus der Opferrolle heraushelfen. Aber die Opferrolle ist eine passive Rolle. Sie führt dazu, dass Verantwortung abgeschoben wird und der eigene Anteil am Geschehen zumindest verschleiert wird.

Der Weg heraus aus der Opferrolle

Auf individueller und betrieblicher Ebene das gleiche Spiel: Jede und jeder scheint benachteiligt ob seiner oder ihrer individuellen, manchmal auch selbst gewählten Situation. Sicher, in vielen Fällen ist eine Behinderung oder eine Krankheit ein objektiver oder zumindest objektivierter Grund. Aber davon abgesehen handelt es sich oft um eine Haltung, die von eigenen Versäumnissen oder eigenem Verschulden absieht. Es ist für Führungskräfte nicht leicht, mit Menschen, die sich als Opfer sehen und sich in diese Rolle vertiefen, umzugehen und sie dahin zu führen, dass sie selbst wieder Verantwortung für sich, ihr Leben und ihr Arbeiten übernehmen. Verantwortung, hier vor allem Selbstverantwortung, scheint der Weg aus der Opferrolle hinaus zu sein.

Der Führungsexperte Reinhard K. Sprenger schreibt in seinem 1996 veröffentlichten Buch „Das Prinzip Selbstverantwortung“: „Der Verantwortungsverweigerung zu vieler entspricht komplementär ein Über-Verantwortungsgefühl zu weniger, die meinen, ‚alles im Griff‘ haben zu müssen, obwohl sie sich dabei überfordern. ‚Unten‘ klagt man dann wieder über zu enge Vorgaben. Denn wer nicht entscheidet hat meist gut reden. Von der Tribüne läßt sich bequem urteilen. Die resignativ-kalkulierte Ethik der sauberen Hände durch Passivität verbindet sich mit dem Fingerzeigen auf die, die etwas tun und häufig versagen“ (Sprenger 1996, S. 29). Vielfach, auch im akademischen Kontext, will man zwar überall mitreden, aber nichts verantworten. Kommt es dann schließlich zu Gehaltsverhandlungen oder zu Verhandlungen über Leistungszulagen, haben die gleichen Leute, die vorher nur mitwirken wollten, auf einmal doch sehr viel Verantwortung übernommen.

Möglichkeiten schaffen, aus Fehlern zu lernen

Was hilft aus der Opferrolle und der Passivität heraus? Vielleicht ist es eine Form von Empowerment, die vielen, aber nicht allen aus der Rolle heraushilft. Gerade in sozialen Berufen und Organisationen bedarf es aktiver Menschen, die sich einsetzen, die wirksam agieren und auch andere aus unglücklichen Opferkonstellationen herausholen und ihnen zu mehr Perspektiven, Potenzialen und Horizonten verhelfen. Aus Sicht der Führungskraft: Hüten Sie sich vor der Übernahme von Verantwortung für andere. Oder, wie ich es einmal einer Verwaltungskraft gegenüber betont habe: „Ja, ich kann deine Verantwortung gerne übernehmen, dann benötige ich aber deine Stelle nicht mehr und beanspruche dann auch (zumindest) die Hälfte deines Gehaltes.“ Ermutigen Sie Ihre Mitarbeitenden, selbst Verantwortung zu tragen und daran auch persönlich zu wachsen. Verantwortung heißt zur Rechenschaft ziehen, bedeutet aber nicht, fehlerlos zu arbeiten. Daher: Seien Sie großzügig, wenn Fehler passieren und schaffen Sie Möglichkeiten und Chancen, aus Fehlern zu lernen. Das hilft der einzelnen Person, der Organisation und Ihnen als Führungskraft!


Prof. Dr. Armin Schneider, Hochschule Koblenz, Fachbereich Sozialwissenschaften
Direktor des Institutes für Bildung, Erziehung und Betreuung in der Kindheit | Rheinland-Pfalz (IBEB), Dekan des Fachbereichs Sozialwissenschaften, Mitherausgeber der Blauen Reihe

 

Ethik und Digitalisierung zum Nutzen der KlientInnen verbinden

Ein Gastbeitrag von Prof. Dr. Paul Brandl und Dr. Christian Baumgartner

Informationen zu den Prinzipien der Ethik und den Möglichkeiten der Digitalisierung sind das Ziel dieses Artikels, sodass Befürchtungen über die zu erwartenden Neuerungen durch Information ersetzt werden können. Dabei gehen wir davon aus, dass man nach den vier ethischen Prinzipien arbeiten kann und damit die Möglichkeiten der Digitalisierung zum Wohle der KlientInnen eingesetzt werden können. Deshalb werden eingangs die vier ethischen Prinzipien nach Beauchamp und Childress (2008) vorgestellt. Daran anschließend wird gezeigt, wie das konsequente Anwenden der analogen Prozessorganisation und den dazu passenden digitalen Möglichkeiten zum Wohl der KlientInnen eingesetzt werden kann.

Zunächst zum Verständnis die vier Prinzipien der Medizinethik:

  1. Die Autonomie der KlientInnen/HeimbewohnerInnen/…

Das Prinzip der Autonomie gesteht jeder Person Kompetenz, Entscheidungsfreiheit und das Recht auf Förderung der Entscheidungsfähigkeit bzw. auf Selbstbestimmungsfähigkeit zu. Es beinhaltet die Forderung der informierten Einwilligung vor jeder diagnostischen und therapeutischen Maßnahme und die Berücksichtigung des Willens, der Wünsche, Ziele und Wertvorstellungen des/r jeweiligen PatientInnen. Dies im Rahmen der geltenden Gesetze. Im Zentrum steht dabei das Aufrechterhalten und Stützen der Autonomie einer Person wie z. B. bei Personen mit Selbstversorgungsdefiziten. Wenn es etwa um die abnehmende Mobilität von Personen geht, wird sich die Frage stellen, mit welchen Maßnahmen die Autonomie dieses Personenkreises möglichst hoch gehalten werden kann. Ohne das Erbringen bestimmter Dienstleistungen sinkt die Autonomie der KlientInnen entsprechend der Entwicklung der Beeinträchtigung und die Unterstützung einer Person wird notwendig werden. In einer ersten Stufe (von 5[1]) kann sich ein/e KlientIn noch selbst helfen, ab Stufe 2 steigt die Wahrscheinlichkeit, dass eine Person unterstützt werden muss bzw. Unterstützung anfordert. Spätestens ab Stufe 3 müssen für eine Person für das tägliche Leben Dienstleistungen erbracht werden. Die Unterstützung nimmt immer mehr einen Fürsorge-Charakter an. Die Form der Versorgung – von der Belieferung bis zur Unterbringung in einer geeignet erscheinenden Form – muss mit der zu versorgenden Person geklärt werden. Davon abhängig ist der organisierende Versorgungsprozess einzurichten. Ganz allgemein können hier die Möglichkeiten der Digitalisierung die analogen Versorgungsprozesse fundamental unterstützen.

  1. Schadensvermeidung als Leitlinie

Das Prinzip der Schadensvermeidung fordert, schädliche Eingriffe zu unterlassen (unter Berücksichtigung der Nutzen-Risiko-Relation und Beachtung individueller Werte) oder bereits vorausschauend zu vermeiden. Dies basiert auf dem ärztlichen traditionellen Grundsatz „primum non nocere“ („Zuerst einmal nicht schaden“). Dies scheint zunächst selbstverständlich, kann aber in einigen Fällen, bei z. B. akuten Versorgungsengpässen, mitunter dazu führen, dass die Entscheidung schwerfällt, was dem/r Patienten/in hilft oder eher schaden wird.

Coverabbildung Prozessoptimierung: Basis zur Neugestaltung sozialer Dienstleistungen

Erschienen im November 2021:
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  1. Fürsorge

Das Prinzip der Fürsorge (auch Hilfeleistung) verpflichtet den Behandler zu aktivem Handeln, das das Wohl (insbesondere Leben, Gesundheit und Lebensqualität) des/r Patienten/in fördert und ihm/ihr nützt. Die traditionelle ärztliche Ethik formuliert ein ähnliches Prinzip: Das Wohl des/r Patienten/in ist das höchste Gesetz. Dieses ist allen anderen übergeordnet. In der Prinzipienethik sind die vier Prinzipien auf gleicher Stufe. Das Fürsorgeprinzip steht häufig im Konflikt mit dem Autonomieprinzip und dem Prinzip der Schadensvermeidung. Hier sollte eine sorgfältige Abwägung von Nutzen und Schaden einer Maßnahme unter Einbeziehung der Wünsche, Ziele und Wertvorstellungen des/r Patienten/in vorgenommen werden.

  1. Gerechtigkeit:

Das Prinzip der Gerechtigkeit (auch Gleichheit) fordert eine faire und angemessene Verteilung von Gesundheitsleistungen unter Beachtung der Ressourcen. Gleiche Fälle sollten gleichbehandelt werden, bei Ungleichbehandlung sollten moralisch relevante Kriterien konkretisiert werden. Das Prinzip verlangt eine faire Verteilung der Gesundheitsleistung. So müssen z. B. die Ressourcen und Kapazitäten der Krankenhäuser gerecht verteilt werden. Jeder Krankheitsfall eines Menschen, der gleichwertig zu einem anderen Fall ist, fordert gleiche Behandlung. Ungleiche Fälle dürfen anders behandelt werden, aber nur wenn die Fälle moralisch relevante Unterschiede aufweisen. Ungleichbehandlungen sind nicht gerechtfertigt basierend auf der Nationalität, dem Geschlecht, dem Alter, dem Wohnort, der Religion, der sozialen Stellung oder dem bisherigen Verhalten in der Gesellschaft. Auch vorhergehende Straftaten oder Berufstätigkeiten dürfen bei der Entscheidung nicht einfließen. So wird beispielsweise ein Obdachloser einem Juristen in der medizinischen Behandlung gleichgestellt, sofern sie gleiche Symptome und gleiche Überlebenschancen aufweisen. Die Entscheidung bezüglich einer medizinischen Behandlung muss sachlich begründet, transparent und fair sein.

Wie lassen sich die vier Begriffe der Medizinethik mit der Digitalisierung verbinden?

Beginnen wir mit der Autonomie eines/r Klienten/in und mit seiner/ihrer Entscheidungsfreiheit. Jede Person muss sich aus freien Stücken und daher nachvollziehbar für eine Dienstleistung entscheiden. Die dafür notwendigen Ressourcen werden im Prinzip der Gerechtigkeit angesprochen. Beim Einsatz der Ressourcen geht es um eine faire und angemessene Verteilung von (Gesundheits-)Dienstleistungen und folglich um einen ressourcenschonenden Einsatz beim Erstellen einer Dienstleistung.

Im Sinne der begrenzten Ressourcen spricht dies bei der Bewertung von Dienstleistungen für eine Einteilung in sogenannte extrinsische Reifegrade von Prozessen (y-Achse) und intrinsische Reifegrade der prozessbasierten Dienstleistungen (x-Achse):

Die Reifegrade der Prozesse und Dienstleistungen (Brandl/Ehrenmüller, 2019)
1234

5

Extrinsische (y)/
intrinsische (x) Reifegrade
Analoge OrganisationAnaloge/
digitale Schnittstelle
Digitale interne OrganisationDigitale VernetzungInternet of The Things
5Ständig verbessert
4Gelebt
3Optimiert
2Beschrieben
1Es läuft

Die fünf Stufen der extrinsischen Reifegrade (y) sollten den Ressourceneinsatz tendenziell sinken lassen. Es zeigen sich gleichzeitig die Grenzen der Optimierung eines bestehenden Prozesses, wenn versucht wird, einen Prozess ständig nur auf einem intrinsischen Reifegrad zu verbessern[2]. Erst mit dem Erhöhen des intrinsischen Reifegrades – also in fünf Stufen von analog zu agil und digital – kann der Ressourceneinsatz nachhaltig gesenkt werden. Ein Minimieren der einzusetzenden Ressourcen mit steigendem intrinsischem Reifegrad ist so vorprogrammiert und die Relevanz für das ethische Prinzip der Gerechtigkeit zeichnet sich mit der Entwicklung eines neuen Effizienz-Begriffes ab (Brandl/Ehrenmüller, 2019): mit möglichst wenig Ressourcen eine Dienstleistung erstellen. So ist es jeweils auch ein Schritt zu einem kleineren ökologischen Fußabdruck, der sich auch betriebswirtschaftlich rechnen lässt. Damit kommen wir auch zu einem neuen Qualitätsbegriff, der aus dem pQMS extended® bereits bekannt ist (Brandl/Ehrenmüller, 2019):

Der dynamische Qualitätsbegriff im pQMS extended®

Damit haben wir ein dynamisches Modell des Qualitätsmanagements erreicht, das in der Lage ist, sich an verändernde Anforderungen für Dienstleistungen anzupassen. Es bedarf damit der ständigen Anpassung an die Entwicklung der Bezugswissenschaften, der Ökonomie und Ökologie, der konsequenten Integration in die IT, des Einhaltens und Weiterentwickelns der juristischen Bestimmungen sowie einer Anpassung an die sich weiterentwickelnde Unternehmenskultur.

Fazit: Diese interdisziplinären Anforderungen können von einer funktionalen Organisation nicht mehr erfüllt werden, da das Optimieren eines Prozesses ein Überschreiten der funktionalen Grenzen erfordert. Der Übergang in die Prozessorganisation ist damit aus ethischer Sicht angezeigt, da insbesondere die Instrumente des Prozessmanagements zur Schadensvermeidung beitragen. So können etwa mit der Darstellung von Prozessen mittels Swimlanes alle Fehlerquellen bzw. Problemzonen eingezeichnet und benannt werden, um anschließend in einem Problemlösungsprozess eingebunden und in gelöster Form implementiert zu werden. Zudem wird durch diese Zergliederung in einzelne Arbeitsschritte eine Möglichkeit geschaffen, sowohl den erforderlichen Zeit- und Ressourcenbedarf abzuschätzen bzw. zu berechnen als auch die erforderlichen Arbeitsschritte ethisch zu beleuchten. Im Sinne eines optimalen Ressourceneinsatzes lassen sich die nichtwertschöpfenden Anteile an den Prozessschritten identifizieren und minimieren. Nach Imai (1991) sind diese Anteile folgend erkennbar:

  • Überproduktion: zu viele Medikamente liefern
  • Transport: Akten weiterbefördern, statt digital übermitteln
  • Lagern: von Lebensmitteln, die damit auch leichter ablaufen
  • Warten: etwa das Warten bei dem/der Arzt/Ärztin lässt sich durch bessere Planung vermindern
  • Mehrfacharbeit: den Antrag mehrfach vorbringen
  • Fehlervermeidung: unleserliche Handschriften
  • Veraltete oder reparaturbedürftige Technologie
  • Unnötige Bewegungen: täglich Medikamente holen/bringen, umständliche Arbeitsabläufe
  • Fehlende Qualifizierung bei MitarbeiterInnen
  • Im Sinne des Risikomanagements ist auch für diese vulnerablen Gruppen ein Höchstmaß an Hygiene durch „kontaktarmes“ Arbeiten einzuplanen: Digitalisierung hilft auch hier.

Im Zuge der Vermeidung zumindest eines Teils der unnötigen Prozessanteile wird die Wirtschaftlichkeit eines Prozesses erhöht und gleichzeitig auch der ökologische Fußabdruck verkleinert. Damit ist wiederum Freiraum für eine gerechtere Aufteilung der Ressourcen geschaffen. Bei einem digital unterstützten Ablauf ist besonders das Prinzip der Schadensvermeidung gut nachvollziehbar, wenn eine digitale Übertragung etwa eines Antrags schnell, hygienisch und fehlerlos läuft. Verbunden damit ist auch eine Verminderung des Arbeitsaufwands bei allen beteiligten Arbeitsschritten und Personen.

Zum Abschluss noch eine ganz allgemeine Betrachtung eines Prozesses zur Verminderung des Ressourceneinsatzes. Ein Prozess wird in drei Dimensionen unterteilt: Input – (Teil-)Prozesse – Output (Brandl, 2021):

Darstellung eines Prozesses in drei Teilen: Input–Prozesse–Output

Damit kann der Prozessablauf hinsichtlich der einzusetzenden Ressourcen bestmöglich gesteuert werden und zu einem möglichst bedürfnisgerechten Output führen. Ein geschlossener digitaler Kreis ermöglicht zudem ein präzises Nachvollziehen der Aktivitäten der handelnden Personen.

Speziell zum Personalmangel sei auf einen früheren Artikel verwiesen: https://www.fokus-sozialmanagement.de/personalmangel-wenn-das-optimieren-von-prozessen-nicht-mehr-ausreicht/

 

Porträt Brandl Paul

FH-Prof. Dr. Paul Brandl lehrte an der Fachhochschule Oberösterreich Campus Linz, Department Gesundheits-, Sozial- und Public Management in den Bereichen Organisation und Qualitätsmanagement. An diversen Hochschulen nimmt er Lehraufträge wahr und berät im Bereich der Sozialwirtschaft.

Seine Forschungsinteressen gelten dem Prozessmanagement, dem Qualitätsmanagement sowie moderner Dienstleistungsentwicklung.

 

Dr. Christian Baumgartner, Jahrgang 1975, Studium der Chemie an der Universität Wien. Mehrere Stationen in der Pharmaindustrie. Seit 2012 im Bereich Neuverblisterung tätig, übernimmt er mit der Gründung von MEDventuro GmbH in 2020 deren Geschäftsführung. Unter seiner Leitung wurden mehrere Verblisterungsprojekte umgesetzt, unter anderem die Neuverblisterung von Suchtgiften sowie die Einführung der Neuverblisterung in der mobilen Altenpflege. 


Verwendete Literatur:

Beauchamp, Tom L./Childress, James F. (2008): Principles of Biomedical Ethics. 6. Auflage. Oxford University Press.

Brandl, Paul/Ehrenmüller, Irmtraud (2019): pQMS extended: Neues Qualitätsmanagementsystem für die Langzeitpflege: prozessbasiert – erweiterbar – effizienzsteigernd. Regensburg: Walhalla.

Imai, Masaaki (1991): Kaizen: Der Schlüssel zum Erfolg im Wettbewerb, Berlin: Ullstein Taschenbuch.

 

[1] Die Skala hat jeweils fünf intrinsische und extrinsische Reifegrade und damit jeweils fünf Stufen

[2] Man kann eine Kerze beständig optimieren. Zu einer nennenswerten Verringerung des Ressourceneinsatzes wird erst der Einsatz von LED´s führen.

Resilienz in der Sozialwirtschaft

Ein Gastbeitrag von Prof. Dr. Klaus Schellberg

Nach der Krise ist vor der Krise – in den letzten Jahren haben wir zahlreiche Krisen erlebt, die auch die Sozialwirtschaft berührt haben. Die Flüchtlingswelle 2015 wurde gefolgt von der Covid-19-Pandemie und jetzt vom russischen Einmarsch in die Ukraine. Damit sind auch schon die nächsten Krisen vorgezeichnet – die Energiekrise, neue Flüchtlingskrisen, Finanzkrisen. Die Klimaveränderung und der demografische Wandel als langfristige Trends bleiben dadurch unverändert.

Während der Corona-Lockdowns sprachen wir oft vom „neuen Normal“ und dachten dabei an Home-Office. Aber möglicherweise werden nicht das Home-Office und die virtuelle Arbeitswelt das neue Normal, sondern die Krise an sich und die dadurch notwendige Veränderung.

Wir müssen uns an den Gedanken auch grundlegender, teilweise abrupter Veränderungen gewöhnen. Wir müssen uns von dem Gedanken verabschieden, dass die Politik die Sozialwirtschaft in einen Kokon aus Gesetzen und finanziellen Unterstützungen packen kann und wird.

Vielmehr wird sich die Sozialwirtschaft auf diese laufenden Veränderungen eigenständig vorbereiten müssen. Sie muss resilient werden, geübt im Umgang mit Krisen und fähig, Krisen zu bewältigen. In der Resilienz wird hier gerne die Fabel von Lafontaine vom Schilfrohr und der Eiche bemüht – das Schilfrohr, das sich im Wind immer wieder biegsam und veränderungsbereit zeigt, die Eiche, die lange standfest ist, dann aber bricht (Jean de Lafontaine, Fabeln, Berlin 1923, S. 27 – 29).

Wie kann unternehmerische Resilienz in der Sozialwirtschaft entstehen?

1. Verantwortung des Managements

Resilienz ist eine Frage des vorausschauenden und flexibel agierenden Managements. Es geht nicht darum, bisherige Wege so lange wie möglich beizubehalten, sondern bereit zu sein, sich unter neuen Bedingungen neue Wege zu suchen. Das bedeutet, die bisherige Arbeit schon während der guten Zeiten in Frage zu stellen, darauf hin zu prüfen, ob die Prämissen noch stimmen, in Alternativen zu denken, nach Verbesserungspotenzialen zu suchen und auch die Veränderungsfähigkeit immer wieder zu üben.

2. Verantwortung der Vorstände und Aufsichtsgremien

Hier kommt speziell den Vorständen und Aufsichtsgremien eine Verantwortung zu. Sie sind nicht im Tagesgeschäft des Unternehmens involviert, sondern in anderen Kontexten unterwegs. Sie können die Frühwarnsignale, gewissermaßen als ein Radar in die Gesellschaft, ins Sozialunternehmen bringen. Und sie haben die Macht, sich auch im Unternehmen Gehör zu verschaffen.

Es ist daher durchaus sinnvoll, wenn Vorstände und Aufsichtsgremien vielfältig zusammengesetzt sind und wenn sie das Hinterfragen zu ihrer Aufgabe machen.

3. Öffentliche Sozialleistungsträger und Ordnungsbehörden

Die öffentliche Hand, namentlich die Ordnungsbehörden (Heimaufsichten etc.) und die Sozialleistungsträger sind indirekt für die Resilienz der Sozialwirtschaft verantwortlich. Flexibilität und Veränderungen bedeuten auch immer Versuch und Irrtum und nicht die Einhaltung aller gesetzlichen Vorgaben. Es bedeutet, finanzielle Spielräume nutzen zu können und mit Risiken umzugehen. Es braucht hier Experimentiermöglichkeiten, Öffnungsklauseln, Risikozuschläge und finanzielle Flexibilität.

Leider kann die Sozialwirtschaft dies nur bedingt beeinflussen. Hier liegt die große Verantwortung der Politikerinnen und Politiker, die sich wirklich um die Zukunft des Sozialen sorgen.

4. Agile Unternehmenskultur

Eine starke Unternehmenskultur hilft einem Unternehmen, schnell und homogen in allen Bereichen des Unternehmens zu handeln. Doch das allein genügt nicht: Eine Unternehmenskultur kann so auch zu Erstarrung führen. Vielmehr braucht es eine Kultur der Offenheit, der Veränderung, des Versuchs und Irrtums, der kreativen Reibung.

Das agile Mindset der Mitarbeitenden ist insofern entscheidend: Sie müssen gewillt sein, sich selbst sowie die gesamte Organisation permanent weiterzuentwickeln und Erfolgsrezepte der Vergangenheit in Frage zu stellen.

5. Unterstützung rechtzeitig holen

Manche Sozialunternehmen setzen sich mit ihren Problemen erst dann auseinander, wenn sie finanziell an die Wand gedrängt sind. Dann braucht es kurzfristige, radikale Sanierungsmaßnahmen, die dann oft zur Einstellung von Angeboten, Schließung von Standorten führen, aber selten zu innovativen und strategisch zukunftsweisenden Entwicklungen. Die hierfür notwendige externe Unterstützung wäre vermutlich besser angelegt in der frühzeitigen Einbindung externer Expertise zur strategischen Neuorientierung oder in der Qualifikation des Managementnachwuchses.

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Resilienz in Unternehmen ist ein wenig wie Präventionsmaßnahmen, wie die regelmäßige Notfallübung. Und hier gilt wohl „there is no glory in prevention”, die Präventionsmaßnahmen lassen sich als Managementerfolg schwer darstellen.

Doch Resilienz geht weiter: Sie schafft ein lebendiges Unternehmen, in dem Mitarbeitende gestalten können und in dem es speziell für junge Leute interessant werden kann, zu arbeiten. Resilienz schafft eine Organisation, die zukünftige Veränderungen mit Leben füllen kann und den eigenen sozialen Auftrag auch in neue Zeiten hineintragen kann.


Autorenbild Prof. Dr. Klaus Schellberg

Prof. Dr. Klaus Schellberg, Diplom-Kaufmann, ist Professor für Betriebswirtschaftslehre für Sozialunternehmen an der Evangelischen Hochschule Nürnberg und Studiengangsleiter im Masterstudiengang Sozialmanagement. Seine Arbeits- und Forschungsschwerpunkte sind Finanzierung von Sozialunternehmen, Social Return on Investment und Wirkungsforschung. Neben seiner Hochschultätigkeit ist er Gesellschafter der xit GmbH forschung · planung · beratung. Prof. Dr. Schellberg ist Mitherausgeber der Blauen Reihe „Management Soziales & Gesundheit“.

Personalmangel: Wenn das Optimieren von Prozessen nicht mehr ausreicht …

Ein Gastbeitrag von Prof. Dr. Paul Brandl

Auf Inserate melden sich immer weniger InteressentInnen, auch viele andere Branchen klagen über Personalmangel, schließlich werden auch die Arbeitsbedingungen zum Thema. RentnerInnen werden wiedereingestellt und Qualifizierungsmodelle werden nur bedingt angenommen. Es ist an der Zeit, über das Denken in den Kategorien „Recruiting“ und „Qualifizierung“ hinauszudenken. Spätestens hier tauchen Begriffe wie „agile Organisation“ und „Digitalisierung“ auf: Ein Zeichen, dass die funktionale Organisation am Ende ist? Die Tageszeitungen, Zeitschriften und das Fernsehen sind voll von Beiträgen mit Klagen und Forderungen nach einem (noch) besseren Personalrecruiting von BewerberInnen und einer (noch) besseren Qualifizierung der MitarbeiterInnen – und das in einem leer gefegten Personalmarkt mit einem hohen Grad an „Verdrängungswettbewerb“ mit anderen Branchen. Immer wieder tauchen neue Recruitingformen (Prämien für Vermittlung durch MitarbeiterInnen, Recruiting ausländischer Kräfte mit Deutschkursen, RentnerInnen in Teilzeit, etc.) und auch neue Bildungsangebote (etwa das kostenfreie Angebot von Modulen für MitarbeiterInnen zur Höherqualifizierung, Integrationsleasing, etc.) auf, die aber das Angebot an neuen MitarbeiterInnen auch nicht wesentlich erhöhen. Damit geht auch die Forderung nach Aufstockung der MitarbeiterInnen zwangsweise ins Leere, da diese schlicht nicht vorhanden sind.

Das Personalmanagement und seine Einflussfaktoren auf die Erledigung der Arbeit

Man sollte davon ausgehen können, dass das Thema Personalmangel mittlerweile zu einem strategischen Thema geworden ist, um über ein „Beklagen der Situation“ und damit verbunden ein „Weiter so“ überwinden zu können. Dazu gehen wir zurück auf eine ganz allgemeine Ebene der Betriebswirtschaftslehre: Es ist eine bestimmte Menge an Arbeit vorhanden, die durch eine bestimmte Personenzahl mit Technikeinsatz täglich abgearbeitet wird. Damit hat man in Richtung Personalmangel gedacht folgende vier Ansatzpunkte für Veränderungsmöglichkeiten: die Arbeitsmenge, die Anzahl der MitarbeiterInnen, der Technik-/Technologieeinsatz und die Ablauforganisation.

Die nachfolgenden Lösungsansätze sind unabhängig von einem Produktions- oder Dienstleistungsbetrieb zu denken: Wenn die Anzahl der MitarbeiterInnen sinkt, so kann die Arbeitsdichte der MitarbeiterInnen bei gleichbleibender Arbeitsweise und Technik nur kurzfristig gesteigert werden, um die Arbeitsmenge zu bewältigen. Langfristig würde das die MitarbeiterInnen im Sinne von Überbeanspruchung gesundheitlich beeinträchtigen und zu (weiteren) Ausfällen/Abgängen führen. Dies gilt natürlich umso mehr bei steigender Arbeitsmenge.

Praxisbeispiele wären hier Kindergärten und Pflegeheime.

Bleibt die Frage nach der Senkung der Arbeitsmenge bei gleichbleibender Arbeitsweise, was in der Praxis heißt, dass weniger KundInnen (KlientInnen oder PatientInnen) Anspruch auf eine derartige (soziale) Dienstleistung haben werden: Die Anspruchskriterien für eine derartige Dienstleistung sind entsprechend zu erhöhen. Damit wird auch die Frage der Umsetzungsmöglichkeit bei höherer Nachfrage und weniger Arbeitsmenge zu diskutieren sein.

Ein Praxisbeispiel: Anrecht für einen Heimplatz in Österreich nicht mehr mit Pflegestufe 3 von 7, sondern erst ab 4 von 7.

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Auf der dritten Schiene ist nach dem konsequenten Technik-/Technologieeinsatz zu fragen: Inwieweit kann bei gleichbleibender Arbeitsmenge der Einsatz von „besseren“ Technologien oder/und Software die Arbeitsmenge vermindert werden? Wird die Arbeit durch die Technologie übernommen, so erscheint es zumindest eine Frage der Qualifizierung der MitarbeiterInnen, die mit der neuen Technologie vertraut gemacht werden müssen.

Praxisbeispiele: der elektronische Akt über mehrere Organisationen, Einsatz von NFC-Chips in der Wäsche, Bestellung von Pflegeprodukten mit QR-Code, …

Schließlich ist da noch die Ablauforganisation in der derzeitigen Form: Ist da noch Optimierungspotenzial im Sinne des Eliminierens von Anteilen nichtwertschöpfender Arbeitsschritte[1] möglich (Praxisbeispiele: Sturz muss dreimal dokumentiert werden, die Hauspost läuft immer noch zentral für zehn Organisationseinheiten, etc.)  oder bedarf es einer neuen Form einer Dienstleistung (personalisiert, nachhaltig, hygienisch etc.)?

Ansatzpunkte für eine moderne Unternehmensentwicklung

Wenn es um die Frage geht, wie man mit weniger Personal eine zumindest gleichgroße Menge an Arbeit stemmen kann, so wird es – angesichts der demografischen Entwicklungen – in zumindest zwei Richtungen gehen müssen:

  • Investitionen strategisch ausrichten: heißt, alle technologischen Möglichkeiten der Performance-Verbesserung ausnutzen und die Möglichkeiten der Digitalisierung weitestgehend ausschöpfen. Digitalisierung vermindert die Arbeitsmenge und bringt zudem ein Mehr an Hygiene und weniger Ressourceneinsatz. Arbeitslosigkeit infolge der Rationalisierung muss aufgrund des Personalmangels nicht befürchtet werden. Alle Lösungen können zudem DSGVO-konform und ethisch einwandfrei gestaltet werden, IT-Lösungen sollen außerdem neue Formen der Arbeitsorganisation unterstützen.
  • Die Arbeitsorganisation gilt es, in einem ersten Schritt zu optimieren, in dem nach den Grundsätzen des Lean Managements bzw. des Lean Service gearbeitet wird. Dabei sollte von den Führungskräften eine Unternehmenskultur gefördert werden, die die Selbstorganisation und Eigeninitiative der MitarbeiterInnen fördert und in Richtung einer agilen Organisation geht.

 

Porträt Brandl Paul

FH-Prof. Dr. Paul Brandl lehrte an der Fachhochschule Oberösterreich Campus Linz, Department Gesundheits-, Sozial- und Public Management in den Bereichen Organisation und Qualitätsmanagement. An diversen Hochschulen nimmt er Lehraufträge wahr und berät im Bereich der Sozialwirtschaft.

Seine Forschungsinteressen gelten dem Prozessmanagement, dem Qualitätsmanagement sowie moderner Dienstleistungsentwicklung.


Verwendete Literatur:

Brandl, Paul/Ehrenmüller, Irmtraud (2019): pQMS extended: Neues Qualitätsmanagementsystem für die Langzeitpflege: prozessbasiert – erweiterbar – effizienzsteigernd. Regensburg: Walhalla.

Brandl, Paul/Prinz, Thomas (Hrsg.) (2020): Innovationen bei sozialen Dienstleistungen (Band 1 und Band 2): Ein Blick in die nahe Zukunft der Sozialwirtschaft. Regensburg: Walhalla.

Brandl, Paul (2021a): Organisationsentwicklung – Transformationsmanagement – Change Management. Nutzenstiftende Veränderungen bei sozialen Dienstleistungen gestalten. Regensburg: Walhalla.

Brandl, Paul (2021b): Prozessoptimierung: Basis zur Neugestaltung sozialer Dienstleistungen. Mehr Nutzen – weniger Ressourcen – mehr Nachhaltigkeit. Regensburg: Walhalla.

[1] Darunter versteht man: Wartezeiten, zu hohe Lagerbestände, unnötige Transporte, unnötige Bewegungen, ungenutztes Wissen der MitarbeiterInnen, Fehler, Doppelarbeit und Überproduktion

Symbolbild Euro-Scheine und Münzen liegen auf einer Rechnung

Video: Keine soziale Leistung ohne Finanzierung

Ein Videobeitrag von Prof. Dr. Klaus Schellberg

Finanzierung gehört untrennbar mit Nächstenliebe zusammen. Denn ohne Geld zu verdienen, kann ein sozialer Dienstleister nicht wirken.

Die Finanzierungsfunktion ist daher essenziell für den Erfolg eines sozialwirtschaftlichen Unternehmens.

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Autorenbild Prof. Dr. Klaus Schellberg

Prof. Dr. Klaus Schellberg, Diplom-Kaufmann, ist Professor für Betriebswirtschaftslehre für Sozialunternehmen an der Evangelischen Hochschule Nürnberg und Studiengangsleiter im Masterstudiengang Sozialmanagement. Seine Arbeits- und Forschungsschwerpunkte sind Finanzierung von Sozialunternehmen, Social Return on Investment und Wirkungsforschung. Neben seiner Hochschultätigkeit ist er Gesellschafter der xit GmbH forschung · planung · beratung. Prof. Dr. Schellberg ist Mitherausgeber der Blauen Reihe „Management Soziales & Gesundheit“.

Video: Aus Führungsfehlern lernen

Ein Videobeitrag von Prof. Dr. Armin Schneider

Auch Führungskräfte sind nur Menschen – und Menschen machen Fehler. Doch häufig fällt es gerade Personen in leitenden Positionen schwer, Fehler einzugestehen.

Prof. Dr. Armin Schneider erklärt, warum aber gerade das wichtig ist und wie die gesamte Organisation von einer Kultur profitieren kann, in der ein Lernen aus Fehlern ermöglicht wird.

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Prof. Dr. Armin Schneider, Hochschule Koblenz, Fachbereich Sozialwissenschaften
Direktor des Institutes für Bildung, Erziehung und Betreuung in der Kindheit | Rheinland-Pfalz (IBEB), Dekan des Fachbereichs Sozialwissenschaften, Mitherausgeber der Blauen Reihe