„New Work“ in der Praxis kennenlernen

Die Studierenden des Schwerpunkts „Sozialmanagement“ im berufsbegleitenden Masterstudiengang  Gesundheits-, Sozial- und Public Management fuhren im Rahmen der Exkursion (2. Semester) „International Best Practice“ in diesem Jahr nach Freiburg/Breisgau, um innovative Sozialprojekte und Sozialdienstleister kennenzulernen. Bei den Vorbereitungen stießen die Organisatoren auf die Ich & Du Pflege GmbH – ein kleinerer nachbarschaftlicher Pflegedienst in Freiburg/Breisgau mit drei Teams, die nach dem Buurtzorg-Modell arbeiten. Um „New Work“ in der Praxis kennenzulernen, wurde ein Besuch vereinbart. Hier ein Kurzbericht:

Der Geschäftsführer der Ich & Du Pflege GmbH, Jörn Schinzler, traf in Freiburg/Breisgau 13 StudentInnen und ihre Professoren (Prof. Dr. Brandl und Prof. Dr. Prinz) zum intensiven Gedankenaustausch über selbstorganisierte Pflege nach dem Buurtzorg Modell. Drei Stunden hatten sie Gelegenheit, mit Jörn Schinzler über den nachbarschaftlichen Pflegedienst Ich & Du zu diskutieren.

Selbstorganisiertes Arbeiten nach dem Buurtzorg-Modell

Zentrales Element des Pflegedienstes ist selbstorganisiertes Arbeiten nach dem Buurtzorg-Modell aus den Niederlanden. Dieses Modell sieht sehr flache Hierarchien und viel eigenverantwortliches Handeln der operativen MitarbeiterInnen vor.

Dabei sollen Mitarbeiter so genannte „Rollen“ oder Funktionen übernehmen, die ansonsten eher in der Zentrale von Pflegediensten angesiedelt sind – also eine aufgeteilte Führung.

Auch arbeiten die Teams in finanzieller Eigenverantwortung und sind selbst für Personalentscheidungen wie Neuaufnahmen zuständig.

Die Geschäftsführerrolle definiert sich als „Ermöglicher“ und in den einzelnen mobilen Betreuungsteams gibt es „Teamcoaches“, die ihre KollegInnen vorwiegend im Bereich Kommunikation und gewaltfreier Konfliktbearbeitung im Team und im Betreuungskontext unterstützen und schulen.

Wachstum für vermehrt zu bürokratischen Strukturen

Ich & Du wächst und damit auch die bürokratischen Strukturen. So wurden aktuell Pflegedienstleitungen eingeführt, die operativ weniger Stunden in der Pflege arbeiten. Auf unsere Frage, ob sie für diese Funktion eine Zulage wünschen, antworteten die MitarbeiterInnen von Ich & Du mit einem klaren Nein. Dies kann als Zeichen einer neuen, auf Basis von Vertrauen, Mitarbeiterorientierung und durchdachter Verteilung der Arbeitsbelastungen beruhenden Unternehmens- bzw. Führungskultur gesehen werden.

Transformationsprozess

Besonders interessierte die Studierenden, wie die Transformation vom klassischen Pflegedienst zur Selbstorganisation gelingen kann. Schinzler erklärte den Studierenden den – auch durchaus schmerzhaften – Prozess und besprach mit ihnen offen die Stolpersteine auf dem Weg dorthin.

Gemeinsam wurde schließlich das System der Selbstorganisation analysiert, wobei Schinzlers offener Umgang mit seinen Ansätzen, Systemen und Einstellungen bei den Studierenden bleibenden Eindruck hinterließ. Der „Raumgeber“, wie der Chef inzwischen von seinen Mitarbeitenden genannt wird, sieht hier sein Unternehmen auf einem guten, wenn auch noch nicht abgeschlossenen, Weg:

Jedenfalls gibt die Führungskraft die zu verfolgende Richtung vor – Ein Führen gemäß Leitbild.

Im Zuge der immer wieder aufkommenden Diskussionen nach dem Treffen kristallisierten sich folgende Fragenkomplexe heraus:

  • Wird in jeder der drei Pflegeteams die Arbeit anders aufgeteilt? Wie erfolgt da die Entlohnung etwa der dann aufgeteilten Führungsarbeit?
  • Wie passt dieses Arbeiten in bestehende Kollektivverträge etwa in Deutschland oder Österreich? Wie müssen diese angepasst werden?
  • Es bedarf in den Teams einer sehr hohen Konfliktkompetenz. „Wenn ich da in die Altenheime reinschau, dann bin ich mir nicht sicher, wie viele MitarbeiterInnen die erforderliche Kompetenz entwickeln können. Es bedarf einer guten Artikulationsfähigkeit des jeweiligen Mitarbeiters …“, so ein Student.
  • Pflegemitarbeiter müssen unternehmerischer Denken lernen. Eine weitere Herausforderung für MitarbeiterInnen in „althergebrachten“ Strukturen – ein schmerzvoller Weg wie wir gehört haben. Wie schaut es mit Vollzeit- und Teilzeitarbeitsplätzen aus?
  • Die Software muss an die Bedarfe der selbstorganisierenden Teams (laufend) angepasst werden, um eine maximale Transparenz zu ermöglichen. Auch das konsequente Orientieren an den getroffenen Vereinbarungen erfordert viel Selbstdisziplin der MitarbeiterInnen.
  • Konsequenterweise müssen Mitarbeiter, die diese Kultur der Selbstorganisation nicht leben wollen, früher oder später das Unternehmen verlassen. Muss das so sein?
  • Es braucht ganz klare Vorgaben etwa im Bereich der Personalentwicklung. Wer muss welche Weiterbildungen machen? Vermutlich muss auch auf individueller Ebene gezeigt werden, wer welchen Beitrag bei der Erbringung der Dienstleistungen geleistet hat?
  • Wenn es um die Umstellung innerhalb hierarchischer Strukturen geht, dann braucht es eine Führungskraft, die an der Orientierung der Selbstorganisation festhält und dabei genügend Unterstützung von der Geschäftsleitung erhält. Es braucht eine unternehmerisch denkende Führungskraft als Schlüssel zum Erfolg und MitarbeiterInnen, die freiwillig mitziehen

Wir freuen uns auf eine weiterführende Zusammenarbeit und spannende Diskussionen.

 Prof. Dr. Thomas Prinz
 Prof. Dr. Paul Brandl