Symbolfoto für Kreativität und Design Thinking: Mann steht vor einer Wand mit gelben Glühbirnen im Comic-Stil

Was ist eigentlich Design Thinking? Eine Übersicht

Autor des Fachbeitrags:  Prof. Dr. Uwe Kaspers; er lehrt an der Evangelischen Hochschule Nürnberg Betriebswirtschaftslehre

In der beruflichen Praxis sind Dienstleistungen etwas „Gegebenes“; die Akteure fügen sich gegebenen Strukturen ein. Qualitätsmanagement sorgt für einen inkrementellen Verbesserungsprozess.

Die Entwicklung einer Dienstleistung als Designprozess zu betrachten, überträgt dagegen den Weg der Kreation eines Gebrauchsgegenstandes auf die Dienstleistungswirtschaft. Die Methode lädt Akteure ein, Dienstleistungen neu zu denken und mit ihren Neuentwicklungen einen Quantensprung zu erzielen.

Mensch / Wirtschaft / Technik

Design-Thinking soll drei Bereiche zusammenführen.

  • Mensch
  • Technik
  • Wirtschaft

Alle drei Bereiche müssen in Einklang gebracht werden, um eine erfolgreiche Produkt- oder Dienstleistungsinnovation zu platzieren. Die Bedeutung eines jeden Elements lässt sich abschätzen, indem man jeweils ein Element weglässt.

Mensch: Es braucht Menschenkenntnis und Einsicht in die Bedürfnisse der Menschen. Produkte, die den Bedürfnissen der Menschen nicht gerecht werden, werden nicht angenommen.

Technik: Die Integration von Technik – insbesondere  Informationstechnik – in Dienstleistungsprozesse ist Kennzeichen vieler moderner Dienstleistungen. Dies gilt auch für soziale Dienstleistungen. In der Regel wird der Prozess mindestens technikunterstützt dokumeniert. Ein Mehrwert entsteht häufig durch Kombination oder Aggregierung von Informationen. Fehlt die Techikeinbindung, kann in der Regel nicht die notwendige Produktivität erzielt werden. In jüngerer Zeit fehlt ohne Technik gar der Zugang zum Kunden.

Wirtschaft: Das Element Wirtschaft als drittes Element postuliert die Auskömmlichkeit der Erlöse zur Abdeckung der Kosten. Eine Unterschätzung der Zahlungsbereitschaft der Kunden und/oder zu hohe Kosten führen zum Scheitern guter Dienstleistungen mangels Wirtschaftlichkeit.

Prinzipien des Design-Thinking

Am Beginn der Design-Prozesses steht ein tiefes Verständnis von menschlichem Verhalten und menschlicher Präferenzen. Nur wer Probleme von Menschen wirklich versteht, kann dafür Lösungen entwickeln.

Jeglicher Innovationsprozess ist fehlerbehaftet. Fehler sind Teil des Innovationsprozesses. Fehler sind willkommene Gelegenheiten zur Verbesserung.

Autonomie: Die Beteiligten haben weitgehende Entscheidungs- und Handlungsfreiheit. Nur so entsteht Kreativität.

Zwischenprodukte werden im Kontakt mit realen Kunden oder Nutzern getestet. Ein früher Kontakt zu Nutzern hilft, Fehler aufzudecken.

Aufbauendes Feedback: Die Arbeitsgruppe verstärkt die Potenziale, die sich aus dem jeweils erarbeiteten ergeben. Aufbauende Kritik folgt nicht dem Gedanken eines „ja, aber“ sondern dem Gedanken eines „ja, und“.

Schaffe erfahrbare Ergebnisse: Dazu wird mit Prototypen gearbeitet; selbst Dienstleistungen können durch „storytelling“ – vermitteln von Nutzergeschichten – transparent gemacht werden.

Interdisziplinarität: Teams sollten unterschiedliches Fachwissen vereinigen. Unterschiedliche Professionen verfolgen unterschiedliche Lösungsstrategien. So wird der Lösungsraum erweitert.

Optimistische und neugierige Grundhaltung: Die Projektteilnehmer sollten intrinsisch motiviert sein. Der Innovationprozess selbst hat für sie einen Wert, nicht nur das (wirtschaftlich) Ergebnis.

Experimentell: Design-Thinking entwirft keine Theorien darüber ‚was ist‘. Es geht nicht um erklären sondern um entwerfen.

Phasenmodell des Design-Thinking

Der Ablaufprozess des Design-Thinking lässt sich in die folgenden Schritte fassen:

  • Verstehen / Beobachten (Welche Probleme sind zu lösen?)
  • Sichtweise definieren (Worin besteht im Kern das Problem?)
  • Ideen finden (Wie – grundsätzlich – könnte das Problem gelöst werden?)
  • Prototypen entwickeln (Wie – konkret – könnte das Problem gelöst werden?)
  • Testen (Handelt es sich wirklich um eine Problemlösung?)

In jeder Phase des Prozesses kann es zu Fehlleistungen (Scheitern) kommen. In diesem Fall impliziert das Modell einen „Rückfall“ des Prozesses in vorherige Phasen.

Die folgende Schreibweise soll deutlich machen, dass es sich bei dem Prozess abwechselnd um Weitung und Verengung des Verständnis- bzw. Lösungsraums handelt:

  • V e r s t e h e n   /   B e o b a c h t e n
  • Sichtweise definieren
  • I d e e n finden
  • P r o t o t y p e n   e n t w i c k e l n
  • Testen

Es sind zwei Elemente der Fokussierung/Kontraktion sichtbar. Nach der Beobachtungsphase, in der sich der Verständnisraum zunächst geweitet wird, geht es darum, eine Fokussierung auf eine gemeinsame Sicht des Problem zu erzielen. Dieses spezifische Verständnis ist entscheidend für den später eingeschlagenen Lösungsweg. Nach einer deutlichen Weitung des Lösungsraums fokussiert sich das Team schließlich auf eine konkrete Lösung.

Einzelnen Methoden

Design-Thinking fasst verschiedene Methoden zusammen, die sich anbieten, den Verständnisprozess und den Lösungsprozess zu verbessern. Es folgt eine Auswahl dieser Methoden.

Whiteboard und Postit

Im Design-Thinking wird häufig mit Whiteborads gearbeitet. Diese werden entweder mit abwischbaren Filzstiften beschrieben und/oder mit (oft mehrfarbigen) Postits beklebt. Je nach Austattung sind die ganze Wände als große Whiteboards hergerichtet oder es wird mit einer Vielzahl von Boards gearbeitet.

Diese Vorgehensweise hat eine Reihe von methodischen Vorteilen:

  • Informatioen können schnell aufgenommen werden.
  • Die Methode zwingt zu physischer Präsenz der Entwickler am Ort des Geschehens (Ablenkung durch digitale Medien ist ausgeschlossen)
  • Die Darstellung ist hinreichend variabel. Verbesserungen können leicht durch Auswischen und Neuschreiben, Umgruppieren von Postits oder deren Neuerstellung dargestellt werden.
  • Die Darstellung zwingt zur Kürze. Ähnlich weit bei Twitter-Nachrichten zwingt die Begrenzung der Postitsfläche dazu, die Gedanken kurz und prägnant zu formulieren.
  • Die Darstellung auf Whiteboards bietet hinreichende Kapazität für die Darstelling von komplexeren Sachverhalten.

Netnographie

Netnographie ist eine Wortschöpfung, die ausdrückt, dass sich reales Leben im Internet abbildet. Menschen offenbaren ihr Gedanken und ihr Verhaltens in Form von Internetkommunikation. Dies lässt sich untersuchen. So lassen sich

  • Onlineforen / Diskussionsforen
  • Newsgruppen
  • Soziale Netzwerke

gezielt im Hinblick auf die behandelte Fragestellung untersuchen.

Interessant sind Inhalte, die

  • Einstellungen
  • Meinungen
  • Gefühle
  • Vorstellungen

offenbaren.

Folgende Vorgehensweise erscheint sinnvoll:

  • Auswahl / Zugang (Welche Datenquellen sollen erschlossen werden?)
  • Datenerhebung (Was wird im Hinblick auf die Fragestellung geäußert?)
  • Auswertung (Was bedeutet dies für das Verständnis des Problems?)
  • Feedback (Wie interpretieren andere die gefundenen Ergebnisse? Fühlt sich die Zielgruppe zutreffend dargestellt?)

Camera-Study

Hierbei handelt es sich um eine Sammlung von Bild-/Videomaterial aus der Nutzergruppe über einen relevanten Ausschnitt der Lebenswirklichkeit. Die Sammlung wird ggf. mit beschreibenden Notizen angereichert.

Die Sammlung wird Personen aus der Nutzergruppe selbst überlassen. Das Material kann mit Hilfe eines Smartphones schnell aufgenommen werden. eine Kombination von Bild und Kommentar ist schnell erstellt und leicht – ggf. über soziale Medien (z.B. flickr, Instagram, …) – übermittelt.

Damit die Sammlung einen Beitrag zum Verständnis liefern kann, müssen die Versuchspersonen gut über das Interessengebiet informiert sein. Es lohnt sich, die Ergebnisse mit den Versuchspersonen zu besprechen.

Moodboard

Hier geht darum, das Umfelds, die Stimmung (Mood), die Atmosphäre einzelner Nutzergruppen einzufangen. Dazu sollen sinnliche Erfahrungen gesammelt und vermittelt werden. So können z.B.

  • Fotos
  • Zeichnungen
  • Materialien (kleine Gegenstände)
  • kurze Texte

analog oder auch digital vermittelt (z.B. pinterest.com). Bei analoger Vermittlung erfolgt die Vermittlung durch Collage auf einer begrenzten Fläche (Bilderrahmengröße).

Standpunkt ändern: Do the pig

Diese Methode soll dazu verhelfen, einen Gegenstand aus verschiedenen Blickwinkeln zu betrachten. Die Bezeichnung „do the pig“ deutet daruf hin, dass hier z.B. ein Schwein aus der Sicht des Bauern, des Transporteurs, des Schlachters, der Fleischfabrikanten, den Einzehändlers und des Konsumenten betrachtet werden kann. Nach dieser Denkfigur können auch andere Gegenstände daraufhin untersucht werden, wer hier beteiligt ist und welche Sichtweise die jeweilige Personengruppe entwickelt. Der Ansatz ähnelt der Stakeholderanalyse, trägt jedoch kreativere Züge.

Persona

Der Ansatz dient dazu, möglichst plastisch den Archetyp eines Nutzers der Ware oder Dienstleistung zu entwickelt. Es handelt sich um ein beschreibendes Modell eines Nutzers aus einer Nutzergruppe.

Persona steht hier für ‚person + story‘. Der Person soll nahbar/erfahrbar werden. Die Rezipienten sollen sich in die Person leicht hineindenken können.

Je nach Interessengegenstand ist die Unterscheidung mehrerer Personas hilfreich. So entstehen mehrere Archetypen.

Durch die intensive Auseinandersetzung mit einzelnen – wenn auch erdachten – Menschen wird die Gruppe inspiriert und die Entscheidung über die Entwicklung einer gemeinsamen Einschätzung gelenkt.

Persona kann mit unterschiedlichem Aufwand bzw. Detaillierungsgrad betrieben werden. Man sprich von ‚Real Size Persona‘, wenn eine eher oberflächliche und typisierende Darstellung gewählt wird. Von ‚Scientific Persona‘ sprechen wird, wenn der Archetyp differenziert ausgearbeitet wird und die Ergebnisse überprüfbar sind.

Power of ten

Bei dieser Methode geht es darum, die Kreativität der Arbeitsgruppe anzuregen. Dies geschieht dadurch, dass Randbedingungen des Problemfelds oder Lösungsfelds skalliert werden. Dies kann durchaus in krasser Form geschehen.

Folgende Fragen sollen einen Eindruck von dieser Methode vermitteln:

Wie wäre es …

  • wenn wir 100 Mitarbeiter hätten?
  • wenn wir nur einen Mitarbeiter hätten?
  • wenn wir keine technische Ausstattung hätten?
  • wenn alle Nutzer Smartphones hätten?

Die Variation vieler anderer Parameter ist leicht denkbar.

Prototyping

Ein zentrales Element des Design-Thinking ist die Arbeit mit Prototypen. Wir kennen dieser Vorgehensweise aus der Automobilentwicklung. Prototypen sind einzeln hergestellte Problemlösungen – oder wenigsten Anmutungen dessen -, so dass die Lösungen erkennbar, vorstellbar, möglichst erfahrbar werden. Das Prototyping ist ein sehr kreativer Prozess. Prototypen sind nicht die Lösungen, sie weisen aber den Weg dorthin. Deshalb liefern auch vordergründig abwegige Lösungen einen Beitrag zur Lösung des Gesamtproblems.

Die folgenden Begriffe sollen deutlich machen, welche Bandbereiten an kreativen Ansätzen hier denkbar ist.

  • Design Space Exploration: Hier werden noch eher visionäre Vorstellungen formuliert. Die Breite der Lösungsmöglichkeiten soll deutlich werden. Die Darstellung soll das Feld für die weitere Exploration verdeutlichen.
  • Critical Function Prototype: Die Variante gibt eine erste praktische Antwort auf die Funktionen, die bei der Exploration der Kundenwünsche ermittelt wurden. Es handelt sich noch nicht um eine komplette Lösung. Elemente dieser Lösung werden aber deutlich.
  • Dark Horse Prototype: (dark horse: Pferd, auf das niemand wettet und das ggf. doch gewinnt) Dieser Ansatz weist einen Weg hin zu einer bewusst abwegigen Lösung. Dazu findet ein Reframing statt. D.h. es werden Annahmen verändert oder ignoriert, die den Lösungsweg bisher gelenkt haben. Ziel dieses Ansatzes ist die Untersuchung, ob nicht doch Elemente der abwegigen Lösung in die realistische eingehen können.
  • Funky Prototype: Es handelt sich um eine noch etwas „verrückte“, aber doch denkbare Problemlösung.
  • X-Is Finished: Hier handelt sich um eine erste komplett fertige und funktionsfähige Lösung.
  • Final Prototype: Problemlösung, die alle vorher erarbeiteten Aspekte vereinigt.

Auch dieser Darstellung zeigt die zunächst bewusste Weitung des Lösiungsraums bis zur abschließenden Verengung auf einen finalen Prototypen.

Rollenspiele

Besonders bei Dienstleistungen (immateriell, nicht tangibel) ist die Vermittlung von Prototypen schwierig. Hier dient das Rollenspiel der Simulation der Dienstleistung unter möglichst realistischen Bedingungen.

Wie geht man vor?

  • Relevante Rollen werden auf die Akteure verteilt.
  • Jeder spielt konsequent seine Rolle, die vorher durch Rollenanweisung beschrieben wurde.
  • Der Ablauf kann durch eine Drehbuch grob vorbestimmt werden. Das Drehbuch kann aber auch Teil der Dienstleistung sein.

Das Rollenspiel bietet den Vorteil, dass es mit überschaubarem Aufwand realisiert werden kann. Es verlangt jedoch – dies ist ein Nachteil – bei den Beteiligten schauspielerische Fähigkeiten. Wer eine gute Problemlösung erarbeiten kann, ist nicht zwingend auch stets ein guter Schauspieler. Umgekehrt kann eine brilliante schauspielerische Leistung den Blick auf eine schlechte Problemlösung verstellen.

Story Telling

Hier werdem Nutzergeschichten dargestellt und Szenarien der Nutzung des Produkts oder der Dienstleistung vermittelt.

  • Ein Erzähler interagiert mit der Zuhörergruppe.
  • Ein Storyboard umfasst verschiedene relevante Szenen. Jede Szene vermittelt eine Kernaussage der Problemlösung.

Ähnlich wie beim Rollenspiel verlangt die Methode sprachliche Qualitäten, die für das Produkt ggf. irrelevant sind. Dieser Nachteil kann mit Hilfe von schriftlichen Stories, Bildergeschichten, Videos oder Comics vermieden werden.

Eine Feedback-Runde schließt die Session ab und dient so der Reflexion und Verbesserung der vorgestellten Konzepte.

Video Prototyping

Hier wird der Grundgedanke von Rollenspiel und Storytelling in anderer Form umgesetzt. Die Darstellung des Serviceprozesse erfolgt nun in Video-Sequenzen, die meist Spielszenen umfassen. Die Darstellung kann auch durch technisch realisierte Animationen erfolgen (siehe z.B. goanimate.com).

Gegenüber den bisher dargestellten Methoden bestehen klare Vorteile.

Die Produktionen sind

  • transportabel und
  • mehrfach verwendbar.

Die Tools zur Produktion sind allgemein verfügbar. Bei Animationen ist sogar eine: ortsunabhängige Produktion möglich. Es ist hier jedoch zum Teil schauspielerisches und technisches Geschick erforderlich.

Service-Blueprinting

Service Blueprinting ist eine Methode zur Strukturierung und einheitlichen Beschreibung einer Dienstleistung. Das System vereinigt folgende Aspekte:

  • physische Anhaltspunkte: … an welchem Ort, mit welchen Hilfsmitteln wird die Dienstleistung erbracht?
  • Kundenaktivitäten: … was muss der Kunde konkret tun? (z.B. Formular ausfüllen)
  • Frontstage-Aktivitäten: … bei welchen Aktivitäten besteht unmittelbarer Kundenbezug?
  • Backstage-Aktivitäten: … welche Aktivitäten sind zwar durch den Kunden ausgelöst, jedoch für diesen nicht sichtbar?
  • unterstützende Aktivitäten: … notwendig Aktivitäten ohne direkten „Fallbezug“

Die Methode ist leicht erlernbar und vermittelt eine gute Übersicht über den unmittelbaren und mittelbaren Dienstleistungsprozess. Sie kann als Diskussionsgrundlage genutzt werden und lädt zur Kritik ein. Allerdings ist die Darstellung sehr schematisch, fast abstrakt und emotionslos. Emotionale Aspekte, die auf Seiten des Kunden stark in die Bewertung der Dienstleistung einfließen, können kaum aufgedeckt und bewertet werden.

Literatur

 Dr. Uwe Kaspers, Professor für Betriebswirtschaftslehre im Bereich Sozialwirtschaft und Pflegemanagement an der Evangelischen Hochschule Nürnberg, Sozialwirt (MBA), Sozialarbeiter, Unternehmens-, Sanierungs- und Organisationsberatung in der Sozialwirtschaft.