Eine Ärztin im Gespräch mit einer jungen Patienten, die auf einem Bett sitzt

Freiheitsbeschränkende Maßnahmen bei Minderjährigen unter richterlichem Genehmigungsvorbehalt

Freiheitsbeschränkende Maßnahmen (mechanische Fixierung, sedierende Medikamentengabe), die an Kindern und Jugendlichen in einem Krankenhaus, einem Heim oder einer sonstigen Einrichtung vorgenommen werden, müssen seit 1. Oktober 2017 zuvor richterlich genehmigt werden.

Hintergrund der Änderung durch das „Gesetz zur Einführung eines familiengerichtlichen Genehmigungsvorbehaltes für freiheitsentziehende Maßnahmen bei Kindern“ ist die Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 07.08.2013 zur Genehmigungsbedürftigkeit nächtlicher Fixierung eines Kindes in offener Einrichtung ( XII ZB 559/11). Der BGH hatte damals klargestellt, dass die Eltern für die Entscheidung über die Fixierung ihres minderjährigen autistischen Kindes in einer offenen Heimeinrichtung nach geltendem Recht keiner familiengerichtlichen Genehmigung bedürfen. Gleichzeitig führte der BGH aus, dass es dem Gesetzgeber überlassen sei, zu entscheiden, „ob die Anordnung eines familiengerichtlichen Genehmigungsvorbehalts das geeignete, erforderliche und verhältnismäßige Mittel ist, Kinder vor ungerechtfertigten unterbringungsähnlichen Maßnahmen zu schützen“. Bis dies aber geschehen sei, sei das Gericht an die geltende Gesetzgebung gebunden.

Der Gesetzgeber hat mit der vorliegenden Gesetzesänderung nun entsprechend reagiert.

Das ist neu geregelt

Grundsätzlich bleibt es dabei, dass die Befugnis zur Entscheidung über den Einsatz freiheitsbeschränkender Maßnahmen und die Art und Weise ihrer Anwendung weiterhin den Eltern im Rahmen ihrer Personensorge zusteht (bzw. dem Vormund oder Pfleger, falls die Eltern nicht die Personensorge haben).

Lehnen die Eltern eine Maßnahme ab, darf diese von der Einrichtung nicht durchgeführt werden, und das Familiengericht wird gar nicht mit einem Genehmigungsverfahren befasst.

Entscheiden sich allerdings die Eltern (bzw. der Vormund/Pfleger) für eine freiheitsbeschränkende Maßnahme für ein Kind/einen Jugendlichen, muss diese zusätzlich durch das Familiengericht genehmigt werden.

Was ist unter „Krankenhaus, einem Heim oder einer sonstigen Einrichtung“ gemeint?

Unter diese Orte fallen:

  • Krankenhäuser
  • kinder- und jugendpsychiatrische Kliniken
  • Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe
  • Einrichtungen der Behindertenhilfe
  • sonstige stationäre und ambulante Einrichtungen wie etwa Kindergärten und Kindertagesstätten, in denen Kinder und Jugendliche fern von der ständigen Kontrollmöglichkeit der Eltern betreut werden oder gar über einen längeren Zeitraum oder kurzfristig wohnen.

Welche Maßnahmen sind gemeint?

Es sind drei Schritte notwendig, um zu prüfen, ob eine freiheitsbeschränkende Maßnahme vorliegt, die richterlich genehmigt werden muss:

Schritt 1: Zweck der Maßnahme prüfen

Umfasst sind Maßnahmen, durch die die Freiheit entzogen werden soll. Das bedeutet, dass die Freiheitsentziehung Zweck der eingesetzten Mittel sein muss, die Maßnahme das Kind oder den Jugendlichen also gerade an der Fortbewegung hindern soll.

Dient die konkrete Maßnahme dagegen ausschließlich anderen Zwecken wie etwa therapeutischen oder medizinischen Zwecken unterliegt die Entscheidung der Eltern über ihren Einsatz nicht dem Vorbehalt der Genehmigung durch das Familiengericht.

Beispiele: Fixierung eines mehrfachbehinderten Kindes im Rollstuhl zur Aufrichtung des Körpers und zur Atmungserleichterung; Verabreichung von Medikamenten zu Heilzwecken, die als Nebenwirkung die Bewegungsfreiheit möglicherweise erheblich einschränken

Schritt 2: Altersgerechtigkeit der Maßnahme prüfen

Zudem muss die Maßnahme muss dem Kind/dem Jugendlichen in nicht altersgerechter Weise die Freiheit entziehen. Durch diese Beschränkung sind Maßnahmen wie Laufställe oder Hochstühle für Kleinkinder zum Beispiel in Kindertagesstätten vom Anwendungsbereich der Vorschrift ausgenommen.

Pädagogischen Konzepten, die freiheitsentziehende Maßnahmen bei „erziehungsschwierigen“ Jugendlichen als angemessenes und altersgerechtes Erziehungsmittel und als Reaktion auf vermeintliches Fehlverhalten erachten, wird auf diese Weise eine Absage erteilt. Erziehungsschwierigkeiten allein rechtfertigen es nicht, eine Maßnahme als altersgerecht einzustufen, die unter Kindern und Jugendlichen derselben Altersgruppe sonst nicht mehr angemessen wäre.

Schritt 3: Dauer der Maßnahme prüfen

Die Maßnahme, die die Einschränkung der Bewegungsfreiheit und der Entschließungsfreiheit zur Fortbewegung des Kindes oder des Jugendlichen bewirken soll, muss auf einen längeren Zeitraum gerichtet sein oder die Freiheitsentziehung muss regelmäßig erfolgen.

Wie lange darf die Maßnahme genehmigt werden?

Die Gesetzesänderung verkürzt die Höchstdauer von freiheitsentziehenden Unterbringungen und freiheitsentziehenden Maßnahmen bei Minderjährigen einheitlich auf sechs Monate; die Möglichkeit einer Verlängerung dieser Frist wird vorgesehen.

Bei offensichtlich langer Sicherungsbedürftigkeit kann eine Höchstdauer bis zu einem Jahr bestimmt werden. Dies soll aber nur in Ausnahmefällen möglich sein, wenn ein offensichtliches Bedürfnis für eine Unterbringung bzw. freiheitsentziehende Maßnahme über sechs Monate hinaus besteht. Ein Ausnahmefall kann beispielsweise vorliegen, wenn es erforderlich ist, ein dauerhaft körperlich schwerstbehindertes Kind vor einer Selbstgefährdung durch Stürze aus einem Rollstuhl oder Bett zu sichern.