Photo of disabled old person with walking aid

„Community Nurse“ soll mobile (Alten-)Betreuung für Menschen mit Selbstversorgungsdefiziten weiterentwickeln

Personalmangel, immer mehr Menschen mit Selbstversorgungsdefiziten und begrenzte Budgets stellen die mobile und stationäre (Alten-)Betreuung vor immer größere Herausforderungen. Ein dreiköpfiges Team hat nun ein Konzept entwickelt, das KlientInnenen mit Selbstversorgungsdefiziten unabhängig vom Alter ein möglichst selbstbestimmtes Leben in den eigenen vier Wänden ermöglichen kann.

Mittelpunkt des Konzepts, das Gesundheitsexpertin Gabriela Hösl MSc, IT-Manager Ing. Jürgen Schnabler und Organisationsentwickler Prof. Dr. Paul Brandl entwickelten, ist die sogenannte „Community Nurse“. Dabei handelt es sich um eine Gemeindeschwester, die die Betreuung im regionalen Kontext organisiert und koordiniert, dabei wurde ganz besonders die österreichische Gesetzeslage berücksichtigt.

Die Community Nurse ist gemeinsam mit den KlientInnen und anderen „Playern“ in einem digitalen, regionalen Netzwerk verbunden. Andere Player können beispielsweise Hausärzte, Apotheken oder Friseure sein, aber auch Angehörige und Nachbarn gehören zum Sozialraum der KlientInnen.

Dieses analoge Netzwerk ermöglicht mithilfe der digitalen Plattform LISSI sowie der LISSI care APP, auf die alle Beteiligten in Echtzeit unternehmensübergreifend Zugriff haben, ein gemeinsames Planen, Dokumentieren und Abrechnen der Dienstleistungen.

Ein paar praktische Beispiele:

Eine Person mit Selbstversorgungsdefiziten bekommt regelmäßig Besuch von einem Nachbar. Dieser bemerkt während einer seiner Besuche Hautveränderungen bei der Person. Er fotografiert mit Erlaubnis die betroffene Hautstelle und lädt sie auf seiner LISSI-App hoch. Die Community Nurse erhält das Fotos mit derselben App und stellt fest, dass es sich um Bettwanzen handeln könnte. Dieser Verdacht erhärtet sich bei der zeitnahe geplanten und durchgeführten Pflegevisite.

Die Community Nurse verständigt den Arzt, welcher nach einem Hausbesuch oder auch bei einer digitalen Visite via LISSI-App ein Rezept zur Hautpflege ausstellt. Mithilfe des digitalen Netzwerks organisiert die Community Nurse alle weiteren Schritte: Raumaufbereitung, Wäscheaufbereitung und Ungezieferbekämpfung.

Das Konzept eröffnet die Möglichkeit, die digitale Plattform auch als Alarmsystem zu nutzen. Die Vitaldaten (Blutzucker, Blutdruck, …) des Klienten/der Klientin können via App erfasst werden. Wird der Grenzwert überschritten, kann der Klient/die Klientin mit einem Anruf darauf hingewiesen werden bzw. kann erfragt werden, ob Hilfe benötigt wird.

Ebenso kann in Zukunft über die LISSI-App die Medikamentenversorgung auch mittels Neuverblisterung der Medikamente organisiert werden. Geht das benötigte Medikament zur Neige, stellt die Blistersoftware den Bedarf fest. Dieser wird an die Community Nurse gemeldet und/oder der Arzt verschreibt in der Folge das Medikament, sodass die Lieferkette zum/r Klienten/in aufrecht bleibt. Eine analoge Bestellung wie bisher ist natürlich möglich. Die Abrechnung der Apotheke erfolgt über die App.

Leistungen jeder Art können erfasst werden, so auch der Taxitransport zum Friseur: Der Fahrer liest sich mit QR Code ein, bringt die Person zum Ziel und holt sie zum ausgemachten Zeitpunkt wieder ab. Die Endbestätigung mit QR Code dokumentiert und löst auch den Zahlungsvorgang aus.


Gesundheitsexpertin Gabriela Hösl MSc, IT-Manager Ing. Jürgen Schnabler und Organisationsentwickler Prof. Dr. Paul Brandl haben das Konzept der „Community Nurse“ entwickelt. Im Interview erzählen sie, was der Anstoß für die Weiterentwicklung der mobilen (Alten-)Betreuung war, welche Anforderungen an Community Nurses gestellt werden und was die nächsten Schritte sind.

Welche Idee steckt hinter dem Konzept? Was war der Anstoß dafür, das Konzept der „Community Nurse“ zu entwickeln?

Paul Brandl: Zunächst eine Beobachtung: Nach Entlassung aus Kliniken, wenn Menschen DAHEIM bleiben wollen, dann gab es Herausforderungen, die von einem vorhandenen extramuralen Dienst nicht ausreichend gewährleistet werden können – nicht nur bei älteren Personen, Angehörige, Nachbarn und Freiwillige stehen auch nicht mehr ausreichend zur Verfügung.

Gabriela Hösl: Aus dem Wundmanagement heraus entwickelte sich ein Geschäftsmodell, das ich in der Folge zum HÖSL-Konzept „Heimbetreuung ökonomisch sicher leben“ weiterentwickelte. Daraus habe ich meine ganz besondere Unique Selling Proposition entwickelt – also Leistungen, die die Menschen für einen sicheren Verbleib DAHEIM trotz Selbstversorgungsdefizit benötigen. Mein Fokus liegt nicht auf Körperpflege, sondern auf Education für Betroffene und deren Angehörigen – so konnte ich für die KlientInnen ein selbstständiges und selbstbestimmtes Leben ermöglichen. Die Zufriedenheit war sehr hoch.

Jürgen Schnabler: Die LISSI als App und mittlerweile Plattform entstand aus der Beobachtung, dass verschiedene Personen auf dieselben Daten zugreifen könnten, um sich ihre Arbeit zu erleichtern.

Paul Brandl: Es geht um eine professionelle Zusammenarbeit von Personen, die zusammenarbeiten (müssen), ohne sich immer wieder zu sehen oder kontaktieren und deren Zeitressourcen knapp bemessen sind.

Was war und ist Ihre Rolle als Organisationsentwickler bei der Entwicklung des Konzepts?

Paul Brandl: Es gilt Auftraggeber zu finden, die entweder eine „Community Nurse“ als freie UnternehmerIn beauftragen oder ein Pflegedienst entwickelt sich zur „Community Nurse“ weiter. Es braucht auch Führungskräfte und Mitarbeiter, die ein regionales (Pflege-)Netzwerk aufbauen wollen. Diesen Personenkreis gilt es zu begleiten und zu befähigen. Am Anfang steht zunächst ein Pilotprojekt, das die Rahmenbedingungen und Prozesse bis hin zu den Kosten und deren Verrechnung klärt, um dann in den Echtbetrieb zu starten.

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Gabriela Hösl: Ich habe eine Pflegepraxis selbständig geführt. Ein Teil der Arbeit ist es auch, zu sehen, ob alle involvierten Leistungserbringer ihre vorab geplanten bzw. vereinbarten Leistungen erfüllt haben. Ziel ist es etwa, zu sehen, ob die 24-Stundenpersonenbetreuung mit ihren Herausforderungen sicher zurechtkommt. Dazu gehört im Pflegeprozess als zentrales Element ein „Pflege-Assessement“.

Jürgen Schnabler: Dazu musste eine niederschwellige IT-Dokumentation im Sinne eines Plattformmodells erstellt werden. Darauf können die beteiligten Personen entsprechend einem Berechtigungssystem zugreifen, ihre Leistungen möglichst einfach dokumentieren und auch verrechnen – mittlerweile ist LISSI auch viersprachig, damit auch Personenbetreuer besser damit zurechtkommen.

Die Idee Ihres Konzepts erfordert von der Community Nurse sowohl hohe fachliche als auch digitale Kompetenzen. Welche Anforderungen werden an eine Community Nurse gestellt?

Gabriela Hösl:  Dieses Anforderungsprofil kann auch von mehreren Personen abgedeckt werden. Jedenfalls braucht es Personen, die ein regionales Netzwerk entsprechend dem Bedarf für Personen mit vorübergehenden oder dauernden Selbstversorgungsdefiziten aufbauen wollen. Sie schließt die Lücke zwischen Akuteinrichtungen und der mobilen Krankenpflege und -betreuung und muss daher Diplomierter Gesundheits- und Krankenpfleger (DGKP) sein:

  • Ausbildung als DGKP
  • Mindestens 3 Jahre Berufserfahrung

Hilfreich und empfehlenswert wäre:

  • Wundmanagementausbildung mit zweijähriger Berufserfahrung
  • Kooperation mit regionalem/Konzession für Medizinproduktehandel
  • Advanced Nursing Practice oder höheres Pflegemanagement (BSc)
  • Grundlagen des Rechnungswesens
  • Rechtskenntnisse in GuKG, ÄrzteG, MABAG, ÖNORM CEN-TE 16118
  • Grundlagen zur agilen Organisation/gewaltfreie Kommunikation

Aufgaben als Selbständige/r oder im Angestelltenverhältnis einer/s Gemeinde/Verbandes:

  • Aufbau eines regionalen Netzwerks (Ärzte, Wirtschaft, Freiwillige, KlientInnen)
  • Durchführung und Administration der pflegerischen Tätigkeiten
  • Abdeckung der Gesundheitsleistungen im häuslichen Bereich, insbesondere Anleitung von KlientInnen, Angehörigen und Freiwilligen
  • Organisation diverser Dienstleistungen wie Transport, Einkauf, Friseur, …

Welchen praktischen Nutzen erhoffen Sie sich für die KlientInnen bei der Umsetzung Ihres Konzepts?

Gabriela Hösl: Ein längerer Verbleib von mobil eingeschränkten Personen im häuslichen Umfeld durch regelmäßige bedarfsgerechte Pflegevisiten, frühzeitiges Erkennen von Verschlechterung der Allgemeinsituation und rechtzeitiges Eingreifen durch professionelles Handeln, sodass auch bei herabgesetzter Handlungsfähigkeit Sicherheit gegeben wird. Je nach Setting muss ggf. ein Pflegedienst involviert werden, eine 24-Stundenpersonenbetreuung organisiert oder auch eine Übersiedelung in eine Langzeitpflegeeinrichtung organisiert werden – immer dem Setting inkl. dem sozialen Umfeld entsprechend.

Wie geht es nun weiter? Was sind die nächsten Schritte?

Gabriela Hösl: Es werden entweder Einzelpersonen, die sich selbständig machen, gesucht oder sehr sinnvoll erscheint mir, diese Leistungsform über eine schon bestehende extramurale Organisation anzubieten.