Symbolbild: Münzen und Scheine sind um einen Antrag auf Leistungen der Pflegeversicherung drapiert.

Kostensteuerung nein – Kostenmanagement ja

Autor des Fachbeitrags:  Prof. Dr. Uwe Kaspers; er lehrt an der Evangelischen Hochschule Nürnberg Betriebswirtschaftslehre

Sie möchten lernen, wie man Kosten steuert? … Vergessen Sie einfach diesen Gedanken! Er entstammt Phantasien von Betriebswirten und vielleicht auch Sozialmanagern, die tatsächlich glauben, es gäbe Rädchen und Hebel, die man nur kennen und bedienen muss, damit die Kosten einem vorgezeichneten Pfad folgen.

Das ist ein großer Irrtum und dies zu erkennen ist vielleicht ähnlich schmerzhaft wie die Erfahrung aus Kindertagen, als wir verstanden haben, dass nicht wir es waren, die auf dem Kinderkarussell den Feuerwehrwagen oder die Pferde mit der fliegenden Mähne angetrieben haben, sondern der Schaustellergehilfe im Häuschen nebenan. Steigen wir also ab vom Kinderkarussell und versuchen wir den Schaustellergehilfen auszumachen und hinter die Mechanik, die das Karussell antreibt, zu blicken.

Was sind Kosten?

Kosten sind eine abgeleitete Größe wie das Körpergewicht, der Blutdruck beim Menschen oder der Stimmenanteil einer Partei im politischen System. Wer also Kosten steuern will, dem sei geraten, sich zu allererst mit Menschen zu befassen. Wer sich dann noch mit Informationstechnik auskennt, ist auf dem richtigen Weg. Wenn wir Kosten “steuern” wollen, dann müssen wir betriebliche Prozesse steuern. Wir müssen die Kosteninformation auf die Entscheidung über die Art und Menge des Gütereinsatzes auf der Ebene der Realgüter zurückverfolgen und hier etwas ändern. Dabei kann zunächst einmal offen bleiben, wer dies tatsächlich leistet. Dies soll im Folgenden in zwei Schritten erläutert werden. Im ersten Schritt soll ein wenig Systemtheorie und Psychologie zu Rate gezogen werden, um in einem zweiten Schritt die verschiedenen Ansatzpunkte von Kostensteuerung zu benennen.

System, Beobachtung, Feedback

Unternehmen – auch Sozialunternehmen – lassen sich als Systeme verstehen, die zu allererst nach Selbsterhaltung streben und darauf angelegt sind, Störungen von außen zu verarbeiten. Dem Rechnungswesen – insbesondere dem internen Rechnungswesen – kommt dabei die Funktion der Sensorik und der Repräsentation der Information über den Systemzustand zu.

Auf dieser Grundlage gelingt Systemen mit funktionierender Informationsverarbeitung eine beachtliche Selbststeuerung – so wie bei gesunden und informierten Menschen, die Steuerung von Blutdruck und Körpergewicht oder in politischen Systemen mit funktionierender Gewaltenteilung und freier Presse, die Regulierung von Extremismus.

Es kann also zunächst ausreichend sein, dem System widerzuspiegeln, was ist, um dem System im Vertrauen auf die Selbsterhaltungskräfte die Selbststeuerung zu überlassen. Welche fundamentale Bedeutung dies hat, lässt sich an einem ökonomischen Experiment ablesen. Sichtbarkeit ist Voraussetzung für eine zielgerichtete Informationsverarbeitung. Versuchsteilnehmer reagieren mit einer im Sinne des Systems funktionalen Verhaltensanpassung, wenn ihr Verhalten sichtbar wird.

Aus dem ebenso einfachen wie aufsehenerregenden Experiment von Melissa Bateson von der Universität Newcastle und ihrer Kollegen Daniel Nettle und Gilbert Roberts lernen wir, dass die Sichtbarkeit gar nicht manifest sein muss, sondern dass bereits ein Anhaltspunkt für ‘Gesehen werden’ funktionales Verhalten begünstigt.

Die Wissenschaftler hatten hinter einer freiwillig zu füllenden ‘Kasse der Ehrlichkeit’ an einer Stelle, an der sich Mitarbeiter der Hochschule mit Tee, Kaffee und Milch versorgen konnten, in verschiedenen Wochen verschiedene Bilder mit Blumenmotiven und Augenpaaren aufgehängt. Sie untersuchten, ob ein Zusammenhang zwischen den Einzahlungen in die Kasse und den Bildmotiven, denen die Versuchsteilnehmer beim Einschenken der Getränke und an der Kasse nicht ausweichen konnten, bestand. Das Ergebnis war verblüffend eindeutig. Es besteht ein signifikanter Zusammenhang zwischen den Bildertypen und den freiwilligen Beiträgen der Versuchsteilnehmer, die sich aus der Veränderung der Beiträge pro Liter Milch ablesen ließen. (Bateson et al. 2006: 412 ff.)

Abbildung der Beiträge in eine 'Kasse des Vertrauens' nach Hinter¬grundbild aus Bateson et al. 2006: 413

Abb. Beiträge in eine ‘Kasse des Vertrauens’ nach Hintergrundbild aus Bateson et al. 2006: 413

Dieser Aspekt hat für die Gestaltung von Prozessen in sozialen Dienstleistungsunternehmen weitreichende Bedeutung. Das Experiment macht die hochfunktionale Wirkung von Sichtbarkeit deutlich. Was bedeutet dies in unserem Kontext?

Dem Betriebswirt oder Sozialmanager, dem wir oben jeden unmittelbaren Einfluss auf Kosten abgesprochen haben, kommt nun doch wieder eine gestaltende Rolle zu, weil bereits die Kommunikation über die im Unternehmen entstandenen Kosten ohne weiteres Zutun des Managers Kostensteuerung in Form einer Selbststeuerung auslöst.

Dazu müssen Gelegenheiten geschaffen werden, in denen die Kostenverantwortlichen der Unternehmensleitung, den Kollegen auf gleicher Ebene, aber auch den unterstellten Mitarbeitern ‘ihre Zahlen‘ erklären, etwa in

  • Leitungsrunden
  • Kostenstellenkonferenzen oder
  • Controllingsitzungen

Dabei steht eine persönliche Aussprache auf Grundlage eines aussagekräftigen und zeitnah erstellten Berichtswesens im Mittelpunkt. Diese institutionalisierten Runden sollten auch dann genutzt werden, wenn das Unternehmen prosperiert und scheinbar keiner Kostensteuerung bedarf. Wer dies nicht nutzt, lähmt die Selbststeuerung und begünstigt dysfunktionale Reaktionen – ähnlich einer allergischen Reaktion beim Menschen, bei der die Bedeutung einer Information für den Selbsterhalt eines Systems falsch verarbeitet wird. Darüber hinaus führt der Verzicht auf diese Form von Transparenz zur Überforderung der Leitung, die aufgrund der schieren Informationsmenge bereits in mittelgroßen Unternehmen kaum noch in der Lage ist, alle anfallenden Informationen angemessen zu verarbeiten und ihre Entscheidungen überzeugend und motivierend zu vermitteln.

Eine letzte, naheliegende Analogie aus dem Bereich des Sports mag den gezeigten Effekt noch einmal als einem anderen Blickwinkel beleuchten: Ein Trainingseffekt z.B. beim Weitsprung oder Weitwurf, bei dem es wesentlich auf eine effiziente Technik zur Umsetzung der eingesetzten Energie in Weite ankommt, kann sich nur einstellen, wenn ständig gemessen wird. Auch ohne jede Expertise wird das Kind oder der Sportler durch einen Kreislauf von a) Entwurf einer neuen Technik, b) Versuch und c) Messen ohne äußeres Zutun zu besseren Leistungen kommen. Die Sichtbarkeit der Leistungen für andere und die Sichtbarkeit insbesondere der besseren Leistungen anderer wird diesen Prozess befördern.

Zwischenfazit: Eine in vielen Fällen bereits hinreichende Vorstufe der Kostensteuerung besteht darin, die Kosten für diejenigen, die die betrieblichen Prozesse steuern und erbringen, sichtbar zu machen und damit nachvollziehbar darzustellen. Dies löst im System eine Selbstregulation aus, die im Ergebnis einer zielgerichteten Steuerung gleichkommt.

Das Prinzip der Bewegung

Folgen wir noch etwas dem systemtheoretischen Gedanken, indem wir überlegen, wie Systeme aus sich selbst effizienter werden können. Dazu ist ein Mindestmaß an Bewegung, an Variation erforderlich.

Variation wird von außen durch Veränderung der Nachfragemenge, der Zahlungsbereitschaft oder der Qualitätsanforderungen in das Unternehmen getragen. Darauf können Unternehmen nicht statisch reagieren. Sie werden ihre Prozesse anpassen und effizienter gestalten müssen. Die Anpassung kann jedoch auch proaktiv – also bevor die Veränderung von außen induziert wird – erfolgen, indem Variationen, die in einem Unternehmen zunächst scheinbar willkürlich entstehen, genutzt werden. Hier einige Beispiele:

  • Selbst in einem völlig statischen Unternehmen machen Mitarbeiter einmal Urlaub oder werden krank. Ein anderer Mitarbeiter übernimmt die Vertretung.
  • Lieferant A kann nicht liefern, Lieferant B springt ein.
  • Klient X wurde von Mitarbeiter A betreut, Klient Y mit ähnlicher Diagnose von Mitarbeiter B.
  • Ein Team arbeitet wesentlich im Auftrag von Sozialleistungsträger A, nun fragt Sozialleistungsträger B an.
  • Eine stationäre Einrichtung hat drei Etagen, zwei diese Etagen erbringen sehr ähnliche Dienstleistungen.
  • Aufgrund von Personalmangel konnten bestimmte Aufgaben nicht erledigt werden.

Es ließen sich viele weitere Beispiele dieser Art benennen.

All diese Variationen lassen sich auf Unterschiede der Wirtschaftlichkeit untersuchen:

  • Was macht Mitarbeiter A anders oder effizienter als Mitarbeiter B?
  • Wie unterscheiden sich die Leistungen von Lieferant A gegenüber Lieferant B?
  • Was unterscheidet die Auftragsgestaltung von Sozialleistungsträger A gegenüber Sozialleistungsträger B?
  • Warum arbeitet eine der beiden Etagen der stationären Einrichtung effizienter als die andere?
  • Und schließlich: was wäre die Folge, wenn wir die liegen gebliebene Aufgabe in Zukunft ganz oder teilweise gar nicht mehr erfüllen?

Geschulte Mitarbeitervertreter mögen hier aufhorchen und „Leistungskontrolle“ reklamieren. Ja, genau das ist es. Und es ist gut, dass Mitarbeitervertreter hier Mitsprache haben. Es geht aber weniger um direktive Vorgaben oder Leistungsnormen, sondern um das Erforschen der Frage, an welchen Stellen Mitarbeiter ihre Arbeitsweise verändern können, um effizienter zu werden. Ebenso bedeutsam ist aber auch die Frage, an welchen Stellen der Arbeitgeber die Mitarbeiter vor Aufträgen schützen muss, die gar nicht effizient erbracht werden können.

Variationen, die in Bezug auf Kosteneffizienz Lernfelder eröffnen, lassen sich nicht nur mit scharfen Blick entdecken, sondern bewusst schaffen. Mitarbeiter sollten immer wieder neue Aufgabenbereiche übernehmen. Neue Mitarbeiter sollten nicht zu allererst auf die Verfahren im Zielunternehmen ‘eingeschworen‘ werden, sondern gefragt werden, welche Vorschläge sie zur Effizienzverbesserung aus ihren Vorerfahrungen im Herkunftsunternehmen einbringen können. Unternehmen sollten stets neue Partner auf Kunden- und Lieferantenseite akquirieren, um daraus Verbesserungspotenzial zu schöpfen.

Hier mag eingewandt werden, dass gut laufende Systeme doch bitteschön nicht verändert werden sollten – „never change a running system“. Dem sei entgegengehalten: nichts ist gefährlicher als der aktuelle Erfolg. Der Erfolg aktueller Strukturen birgt die Gefahr, externe Dynamik zu unterschätzen und interne Anpassung zu spät zu vollziehen.

Variation und Evaluation bilden also die Grundlage für Selbstregulierung von Systemen. Der Prozess der Schaffung von neuen Eigenschaften eines Systems wird als Emergenz bezeichnet. Dem Kostenmanager kommt hier die Aufgabe zu, hierfür günstige Bedingungen zu schaffen, in dem er Variation erkennt und fördert sowie Kostentransparenz schafft. Auf dieser Grundlage mag er demütig auf die im System generierte Prozessverbesserung vertrauen.

  Dr. Uwe Kaspers, Professor für Betriebswirtschaftslehre im Bereich Sozialwirtschaft und Pflegemanagement an der Evangelischen Hochschule Nürnberg, Sozialwirt (MBA), Sozialarbeiter, Unternehmens-, Sanierungs- und Organisationsberatung in der Sozialwirtschaft. Er ist Mitautor von  “Kostenmanagement in Sozialunternehmen“.