Ein Gastbeitrag von Prof. Dr. Paul Brandl
Auf Inserate melden sich immer weniger InteressentInnen, auch viele andere Branchen klagen über Personalmangel, schließlich werden auch die Arbeitsbedingungen zum Thema. RentnerInnen werden wiedereingestellt und Qualifizierungsmodelle werden nur bedingt angenommen. Es ist an der Zeit, über das Denken in den Kategorien „Recruiting“ und „Qualifizierung“ hinauszudenken. Spätestens hier tauchen Begriffe wie „agile Organisation“ und „Digitalisierung“ auf: Ein Zeichen, dass die funktionale Organisation am Ende ist? Die Tageszeitungen, Zeitschriften und das Fernsehen sind voll von Beiträgen mit Klagen und Forderungen nach einem (noch) besseren Personalrecruiting von BewerberInnen und einer (noch) besseren Qualifizierung der MitarbeiterInnen – und das in einem leer gefegten Personalmarkt mit einem hohen Grad an „Verdrängungswettbewerb“ mit anderen Branchen. Immer wieder tauchen neue Recruitingformen (Prämien für Vermittlung durch MitarbeiterInnen, Recruiting ausländischer Kräfte mit Deutschkursen, RentnerInnen in Teilzeit, etc.) und auch neue Bildungsangebote (etwa das kostenfreie Angebot von Modulen für MitarbeiterInnen zur Höherqualifizierung, Integrationsleasing, etc.) auf, die aber das Angebot an neuen MitarbeiterInnen auch nicht wesentlich erhöhen. Damit geht auch die Forderung nach Aufstockung der MitarbeiterInnen zwangsweise ins Leere, da diese schlicht nicht vorhanden sind.
Das Personalmanagement und seine Einflussfaktoren auf die Erledigung der Arbeit
Man sollte davon ausgehen können, dass das Thema Personalmangel mittlerweile zu einem strategischen Thema geworden ist, um über ein „Beklagen der Situation“ und damit verbunden ein „Weiter so“ überwinden zu können. Dazu gehen wir zurück auf eine ganz allgemeine Ebene der Betriebswirtschaftslehre: Es ist eine bestimmte Menge an Arbeit vorhanden, die durch eine bestimmte Personenzahl mit Technikeinsatz täglich abgearbeitet wird. Damit hat man in Richtung Personalmangel gedacht folgende vier Ansatzpunkte für Veränderungsmöglichkeiten: die Arbeitsmenge, die Anzahl der MitarbeiterInnen, der Technik-/Technologieeinsatz und die Ablauforganisation.
Die nachfolgenden Lösungsansätze sind unabhängig von einem Produktions- oder Dienstleistungsbetrieb zu denken: Wenn die Anzahl der MitarbeiterInnen sinkt, so kann die Arbeitsdichte der MitarbeiterInnen bei gleichbleibender Arbeitsweise und Technik nur kurzfristig gesteigert werden, um die Arbeitsmenge zu bewältigen. Langfristig würde das die MitarbeiterInnen im Sinne von Überbeanspruchung gesundheitlich beeinträchtigen und zu (weiteren) Ausfällen/Abgängen führen. Dies gilt natürlich umso mehr bei steigender Arbeitsmenge.
Praxisbeispiele wären hier Kindergärten und Pflegeheime.
Bleibt die Frage nach der Senkung der Arbeitsmenge bei gleichbleibender Arbeitsweise, was in der Praxis heißt, dass weniger KundInnen (KlientInnen oder PatientInnen) Anspruch auf eine derartige (soziale) Dienstleistung haben werden: Die Anspruchskriterien für eine derartige Dienstleistung sind entsprechend zu erhöhen. Damit wird auch die Frage der Umsetzungsmöglichkeit bei höherer Nachfrage und weniger Arbeitsmenge zu diskutieren sein.
Ein Praxisbeispiel: Anrecht für einen Heimplatz in Österreich nicht mehr mit Pflegestufe 3 von 7, sondern erst ab 4 von 7.
Erschienen im November 2021:
Prozessoptimierung: Basis zur Neugestaltung sozialer Dienstleistungen
Mehr Nutzen – weniger Ressourcen – mehr Nachhaltigkeit
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Auf der dritten Schiene ist nach dem konsequenten Technik-/Technologieeinsatz zu fragen: Inwieweit kann bei gleichbleibender Arbeitsmenge der Einsatz von „besseren“ Technologien oder/und Software die Arbeitsmenge vermindert werden? Wird die Arbeit durch die Technologie übernommen, so erscheint es zumindest eine Frage der Qualifizierung der MitarbeiterInnen, die mit der neuen Technologie vertraut gemacht werden müssen.
Praxisbeispiele: der elektronische Akt über mehrere Organisationen, Einsatz von NFC-Chips in der Wäsche, Bestellung von Pflegeprodukten mit QR-Code, …
Schließlich ist da noch die Ablauforganisation in der derzeitigen Form: Ist da noch Optimierungspotenzial im Sinne des Eliminierens von Anteilen nichtwertschöpfender Arbeitsschritte[1] möglich (Praxisbeispiele: Sturz muss dreimal dokumentiert werden, die Hauspost läuft immer noch zentral für zehn Organisationseinheiten, etc.) oder bedarf es einer neuen Form einer Dienstleistung (personalisiert, nachhaltig, hygienisch etc.)?
Ansatzpunkte für eine moderne Unternehmensentwicklung
Wenn es um die Frage geht, wie man mit weniger Personal eine zumindest gleichgroße Menge an Arbeit stemmen kann, so wird es – angesichts der demografischen Entwicklungen – in zumindest zwei Richtungen gehen müssen:
- Investitionen strategisch ausrichten: heißt, alle technologischen Möglichkeiten der Performance-Verbesserung ausnutzen und die Möglichkeiten der Digitalisierung weitestgehend ausschöpfen. Digitalisierung vermindert die Arbeitsmenge und bringt zudem ein Mehr an Hygiene und weniger Ressourceneinsatz. Arbeitslosigkeit infolge der Rationalisierung muss aufgrund des Personalmangels nicht befürchtet werden. Alle Lösungen können zudem DSGVO-konform und ethisch einwandfrei gestaltet werden, IT-Lösungen sollen außerdem neue Formen der Arbeitsorganisation unterstützen.
- Die Arbeitsorganisation gilt es, in einem ersten Schritt zu optimieren, in dem nach den Grundsätzen des Lean Managements bzw. des Lean Service gearbeitet wird. Dabei sollte von den Führungskräften eine Unternehmenskultur gefördert werden, die die Selbstorganisation und Eigeninitiative der MitarbeiterInnen fördert und in Richtung einer agilen Organisation geht.
FH-Prof. Dr. Paul Brandl lehrte an der Fachhochschule Oberösterreich Campus Linz, Department Gesundheits-, Sozial- und Public Management in den Bereichen Organisation und Qualitätsmanagement. An diversen Hochschulen nimmt er Lehraufträge wahr und berät im Bereich der Sozialwirtschaft.
Seine Forschungsinteressen gelten dem Prozessmanagement, dem Qualitätsmanagement sowie moderner Dienstleistungsentwicklung.
Verwendete Literatur:
Brandl, Paul/Ehrenmüller, Irmtraud (2019): pQMS extended: Neues Qualitätsmanagementsystem für die Langzeitpflege: prozessbasiert – erweiterbar – effizienzsteigernd. Regensburg: Walhalla.
Brandl, Paul/Prinz, Thomas (Hrsg.) (2020): Innovationen bei sozialen Dienstleistungen (Band 1 und Band 2): Ein Blick in die nahe Zukunft der Sozialwirtschaft. Regensburg: Walhalla.
Brandl, Paul (2021a): Organisationsentwicklung – Transformationsmanagement – Change Management. Nutzenstiftende Veränderungen bei sozialen Dienstleistungen gestalten. Regensburg: Walhalla.
Brandl, Paul (2021b): Prozessoptimierung: Basis zur Neugestaltung sozialer Dienstleistungen. Mehr Nutzen – weniger Ressourcen – mehr Nachhaltigkeit. Regensburg: Walhalla.
[1] Darunter versteht man: Wartezeiten, zu hohe Lagerbestände, unnötige Transporte, unnötige Bewegungen, ungenutztes Wissen der MitarbeiterInnen, Fehler, Doppelarbeit und Überproduktion